WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE

Startseite.

Schriftzug WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE


192 persönliche Erinnerungen gefunden

[ Übersicht & Neue Auswahl ]


Beitrag 3 von 192

Zurück | Vor

PERSÖNLICHE ERINNERUNG:
  • AutorIn: Hans-Peter Ruland
  • Geburtsdatum: 6.10.1912
  • Land: Österreich
  • Unterstützt von: Veröffentlichung durch den Sohn.

Schreibende Hand mit Schriftzug DIE DIGITALE BIBLIOTHEK

Hans-Peter Ruland

Aus dem Leben meines Vaters / 6.10.1912

Vorwort

Mein Vater hieß Johann Ruland und wurde am 6. Oktober 1912 in Mauer-Öhling geboren. Er war zeitlebens ein strebsamer Mensch, sowohl beim Bundesheer, - wo er den Hauptschulabschluß nachholte, einen Wirtschaftskurs absolvierte und als Wirtschafts-Unteroffizier tätig war - als auch später als Staatsbeamter.

Russische Gefangenschaft, Heimkehr 1947. Anstellung als Justizwachebeamter, später im Grundbuch tätig, wo er nach unzähligen Prüfungen (Schreibmaschineschreiben und Steno im Eigenunterricht) im Alter von über 50 Jahren noch die Beamtenmatura schaffte und im 63. Lebensjahr als Amtsdirektor in Pension ging.

Jetzt, im 91. Lebensjahr ist er leider oft sehr zerstreut, und so musste ich mit Entsetzen bemerken, daß er handgeschriebene Zeugnisse, Familienbilder usw. neben dem Mistkübel deponierte. Um seine hand- wie maschinegeschriebenen Aufzeichnungen zu retten, habe ich mich entschlossen, diese für die (vielleicht?) interessierte Nachwelt zu "bergen", habe sie heimlich an mich genommen und auch den (wie ich glaube) historisch wertvollen Entlassungsschein aus der russischen Kriegsgefangenschaft.

Vaters Aufzeichnungen sind teils mit der Schreibmaschine, teils mit der Hand geschrieben, jedoch nicht durchnummeriert - beginnend mit maschinegeschriebenen Aufzeichnungen, bzw. einer Aufstellung, welche seinem Lebenslauf entspricht - in diese Aufstellung habe ich seine Berichte über "Lehrjahre" und "Gefangenschaft" eingefügt:

Großeltern mütterlicherseits:
Großvater, Schmied in Steinbruch Mauthausen, Schwertberg, OÖ.
Großmutter, Haushalt
Großeltern väterlicherseits:
Großvater Bauer in Wolfsberg (Waldviertel)
Großmutter Bäuerin in Wolfsberg, Post Friedersbach.
Eltern:

Vater, geboren in Wolfsberg, Post Friedersbach.

Volksschule in Friedersbach, Militärdienstzeit, Hausknecht und Hausdiener in Apotheke in Krems, Pfleger in der Heilanstalt Gugging bei Wien, versetzt nach Mauer-Öhling, spät geheiratet. Oberpfleger, Pension, Einfamilienhaus in Allersdorf bei Amstetten gekauft - je zur Hälfte gestorben am ???

Mutter:

geboren Grün in St. Nikola im Strudengau, ungelernt, Dienstmagd, zwei uneheliche Kinder - Franz und Heinrich Grün. Franz Grün, Mauerer in St. Michael Stmk. Heinrich Grün in Eggenberg bei Graz.

Geschwister:
Grete, gest. im 3. Lebensjahr an Schneerosenvergiftung ?....
Maria, geboren am ?.... gestorben in Linz, Krankenhaus an Knochentuberkulose,
Maria, geboren am ?, Volks- und Hauptschule in Mauer-Öhling bzw. Amstetten, Weißnähen in Aschbach, Kindermädchen in Budapest, Stenotypistin bei einem Anwalt in Amstetten, verheiratet am ? mit Schindler, TBC, gest. am ?
Angaben zur eigenen Person:

Johann Ruland geboren 6. 10. 1912

  • Fünf Klassen Volksschule in Mauer b. Amstetten,
  • Zwei Mal erste Klasse der Bürgerschule Amstetten,
  • Ein halbes Jahr Fachschule für Eisen- und Stahlindustrie in Waidhofen/Ybbs,
  • Zweieinhalb Jahre Schmiedlehrling in Öd bei Amstetten, keine Gesellenprüfung

Lehrjahre:

Zirka 1925

Wie ich gerade nach Öd kam, kann ich heute nicht mehr sagen. Wahrscheinlich bin ich einfach hingegangen. Aber es waren immerhin von meinem Heimatort etwa 5 Kilometer. Eine Lehrstelle zu suchen war damals nicht einfach. Es gab wenige - und so fragte ich ziemlich wahllos in jeder Werkstätte an der ich vorbeikam eben, ob sie einen Lehrling brauchen würden.

Nun, an Öd kann ich mich genau erinnern. Ein Zeilendorf, die Häuser aneinandergebaut, ohne Vorgärten zur Straße hin, wie sie jetzt noch so unverändert sind. An einem dieser Häuser hingen gleich zwei Schilde. Autoreparaturwerkstätte und Huf- und Wagenschmied. Wahrscheinlich hätte ich bei einiger Aufmerksamkeit ersehen können, daß zwei verschiedene Werkstätten hier ihre Schilde hatten. Aber ich war eben nicht aufmerksam.

Ich träumte meist bei allem was ich tat. Was ich da zusammenträumte, weiß ich nicht mehr. Aber ich dürfte mich immer als bedeutenden Mann gesehen haben, jedenfalls ließ ich mir nichts Unangenehmes träumen.

So trat ich durch das große Tor und in dieser Einfahrt durch eine Tür in eine geräumige Werkstätte. Als erstes sah ich da einige Werkzeuge und eine kleine Drehbank, aber den meisten Platz nahm eine große Esse ein. Hinter dieser Esse stand ein kohlschwarzer Riese. Nun, ich fragte, ob er einen Lehrling brauchen würde. Ja, er brauchte einen Lehrling und ich solle so bald wie möglich anfangen.

Meinen Eltern war es auch recht, schließlich hatten sie mit mir genug mitgemacht. So nahm ich meine sieben Sachen und machte mich Sonntags darauf mit meinem Vater auf den Weg. Ich glaube sogar, meine Mutter und meine Schwestern begleiteten mich.

Ich erhielt ein kleines Kammerl als Schlafplatz zugewiesen. Die Einrichtung war nicht gerade üppig. Auf einem Holzgestell lag ein Strohsack, der aber immerhin mit einem Leintuch bespannt war und eine schwere Bauerntuchent diente zum zudecken. Heizbar war diese Kammer natürlich nicht. Außer dem Bett war noch ein kleines Nachtkastl vorhanden. Mehr hätte nicht Platz gehabt. Ein kleines vergittertes Fenster ließ den Ausblick auf eine ein Meter entfernte, abgebröckelte Mauer in die Ferne offen.

Beim Abschied sagte mir noch Vater: "Mach uns keine Schand", die Mutter zerdrückte zu meinem Erstaunen einige Tränen, und so zogen sie ab. Ich saß in der Bauernstube und wurde bald zu Bett geschickt.

Am nächsten Tag klopfte es um 5 Uhr energisch an die Tür. Der Riese schrie: "Aufstehen!" Als ich nach unten kam, wurde ich gleich in die Arbeiten für die nächsten drei Jahre, die mir zufallen sollten, eingewiesen. Als erstes ging's mit einem Schubkarren und mit Sense und Rechen quer über die Straße und zwischen einigen Häusern durch, auf eine nasse Wiese. Die mußte vom Frühjahr bis in den Spätherbst hinein das Futter für die Kühe (drei bis vier) liefern. Der Meister mähte das Gras, ich mußte es zusammenrechnen und auf den Karren laden. Zum Schluß wurde noch fein säuberlich zusammengerecht. Der Meister packte die Karre und fuhr damit mühelos nach Haus. Ich trug das andere Werkzeug nach. Also war das Vieh versorgt.

Nun gab's auch für uns Futter. Es bestand aus einer großen Schüssel Kaffee in der Brotbrocken schwammen. Jeder hatte seinen Löffel und fischte nun die Brotbrocken samt Kaffee heraus.

- Genug der Völlerei, jetzt ging's hurtig in die Werkstätte Feuer machen.

Ein Strohballen war von der Scheune zu holen, der wurde angeheizt, Schmiedkohle darübergehäuft und dann der Blasebalg fleißig getreten. Dazu diente eine Holzlatte die an der Seite, an der Schmied zu stehen hatte, an einer Seite in einem Scharnier befestigt war und durch Drahtzug einen alten Blasebalg der sich über der Schmiede befand, betätigte. Also war es erforderlich, immer am Feuer zu stehen wenn es was zum "wärmen" gab, wie die Schmiede sagen, wenn sie Eisen zum Glühen bringen.

Mein Leidensweg hatte begonnen. Ich verkroch mich noch mehr in mir selber, so daß der Meister oft schrie: "Du schlafst ja!". Was war doch das für mich schwaches Bürscherl ein schweres Handwerk. Bald mußte ich im Takt draufschlagen, wie es in der Schmiederei heißt, wenn zwei etwas schmieden. Derjenige, der mit der linken Hand das Eisen hält und eigentlich schmiedet, in dem der es auf dem Ambos richtig hält und dreht und wendet, um die Form zu geben, schmiedet mit einem normalen Schmiedehammer mit der rechten Hand, und gibt den Takt an.

Der "Draufschläger" aber hat einen schweren Hammer der nur mit beiden Händen gehalten werden kann. Es muß sich nicht nur nach dem Takt halten, sondern auch noch die Zeichensprache des Schmiedes - die dieser mit seinem Hammer zeitweise auf dem Ambos neben dem zu schmiedenden Eisen gibt zu achten.

Ach, wie war das schwer, wenn ein schwerer Radreifen, etwa für einen großen Holzwagen aufzuziehen war. Vier Meter lang war das Flacheisen, bis 10cm breit und 15mm stark. Man ließ das Rad, welches mit einem Kreidestrich den Anfang des Reifens anzeigte, über das Eisen laufen und zeichnete das Ende an. Nun mußte dieses breite Flacheisen auf die richtige Länge gebracht werden. Dazu nahm der Meister einen sogenannten Schrottmeisel, das ist nichts anderes als ein Hammer aus Stahl, der auf der einen Seite eine Schneide hat, legte das Flacheisen auf den Amboß und nun mußte der Draufschläger so lange mit dem schweren Hammer auf diesen Schrottmeisel schlagen, bis sich das Eisen abbrechen ließ.

Hier enden die Aufzeichnungen über die Lehrjahre. Wiederholt hat mir aber mein Vater von "seiner" Beendigung der Lehre erzählt: Der Meister hatte ihm eine "Watschn" gegeben, mein Vater packte seine "Siebensachen", verließ sofort die Werkstätte und beendete - so wie wir heute sagen würden - das Lehrverhältnis mit einer "einseitigen berechtigten Auflösung".

Später:

  • Schmiedgehilfe in Euratsfeld - Hainstetten,
  • Schienenneulage in Kastenreith a.d. Enns,
  • Hilfsarbeiter in der Hutfabrik Ita in Amstetten,
  • Brotausträger beim Bäcker Hameseder in Amstetten,
  • Bauhilfsarbeiter in St. Michael Stmk.

Auf Wanderschaft - Amstetten - Kirchberg/Wagram (Arbeitsplatz als Schmied schon vergeben) - Krems - Horn - Zistersdorf - Wien - Neulengbach - Tulln - Krems - Wachau - Amstetten, Amstetten - Steyr - Kremsmünster - Traunsee - Wolfgangsee - Salzburg (mit Zug nach Hause).

St. Michael - Unzmark - Klagenfurt - ?

Arbeitslos

Eintritt in das Bundesheer am 20.3.1933, 3. Pionier Bataillon 2. Kompanie, Steuermannsprüfung

Gefreiter, Korporal, Zugsführer. Hauptschulkurs für 4. Klasse Hauptschule, Selbstunterricht in Steno und Maschineschreiben, Wirtschaftskurs.

  • 15.8.1937 Karoline kennen gelernt (am Bissinger Kirtag).
  • 1.1.1938 zum Wirtschafts-Wachtmeister ernannt und versetzt in die Wiener Trainkaserne.
  • 8. März 1939 Umbruch - Besetzung durch die deutsche Wehrmacht. Zum Unteroffizier eingestuft, zum Unterwachtmeister befördert, nach Steyr versetzt.
  • Am 12.8.1939 geheiratet, Einsatz im Sudetenland.
  • Kriegsausbruch

Krieg

Wien-Kriau - Leipheim - Ulm - St. Omer - St. Etienne - Calais - Ostpreußen Dierschau, Insterburg Riga - Rußland - (Samra See) - Oppau - bei Ludwigshafen - Frankenthal - Genua - Livorno - Estland - Rakvere (Wesenberg) - Kiviöli (Finn. Meerbusen) - Riga Mutter gestorben - Heimaturlaub, abgeschnitten, Insterburg, Thorn p. Schiff - Kurland - Windau, Libau, Goldingen

Kapitulation 8. Mai 1945, Marsch in die Gefangenschaft, Lager.

Gefangenschaft

In endloser Kolonne trotteten wir müde dahin. Der Frühling zog ein im Kurland und die Sonne erwärmte unsere durchgefrorenen Körper. Am Wegrand arbeitete ein altes Mutterl auf einem Felde. Sie ließ den Spaten ruhen, sah uns an, wie wir - das einst siegreiche Heer über die Straße zogen und dann rannen ihr große Tränen über das zerfurchte Gesicht. Vieles hatten wir ertragen gelernt in der letzten Zeit - daß man uns beweinte - noch nicht.

Welchem Schicksal marschierten wir entgegen? Das Gerücht der baldigen Entlassung glaubte ja doch keiner mehr - wenn es auch keiner zugeben wollte.

Vorbei ging der Marsch an den Trümmerstrecken des Krieges. Hier war der Boden zerfurcht, die Häuser unkenntliche Ruinen, der Wald bestand nur mehr aus zerfransten Baumstümpfen. Die Straße selbst war nur an ausgefahrenen Geleisen und an zerrissenen und von Panzern niedergewalzten Kadavern erkenntlich. Minenfelder würden eher kenntlich gemacht. Trostlose Öde ringsum. Erst acht Tage waren seit der Kapitulation vergangen.

Alles hatten wir ertragen, weil uns versprochen worden war, daß wir schleunigst heimtransportiert würden. Nun marschierten wir in ein Sammellager. Als wir abends Rast machen wollten, bemerkten wir, daß eine ganze Einheit russischer Infanterie darauf lauerte, um uns wahrscheinlich unsere Sachen abzunehmen. Also marschierten wir durch - 80 Kilometer weit ohne längere Rast. Ein einzelner Russe führte die Kolonne. Er hatte einen Heidenrespekt vor uns, obwohl wir unbewaffnet waren.

Endlich kamen wir ins Sammellager. 25000 Mann waren hier beisammen im Freien. Unterkunft, Stroh oder dergleichen gab es nicht. Als erstes verloren wir die ganze mitgebrachte Verpflegung und die Offiziere wurden abgesondert. Sie saßen bald rund um eine Scheune die mit viel Stacheldraht gesichert war. Wir lagen auf einer riesigen Wiese und wurden bereits von den Russen verpflegt. Die Verpflegung bestand hauptsächlich aus amerikanischen Heereskonserven und das war noch nicht schlecht.

Wir waren uns ganz selbst überlassen und benützten die Zeit, um uns immer mehr einzugraben. Es war noch kalt nachts im Zelt und wir halfen uns mit kleinen Feuerchen im Zelt. Bald wurden wir in große Marschgruppen geteilt und in Marsch gesetzt. Hier sollte erstmals "gefilzt" werden und wir versteckten alles außerhalb des Lagers - um es nie wieder zu sehen.

Bald setzte man uns wieder in Marsch. Ein kleiner Russe, er mochte höchstens achtzehn sein, trottete neben mir. "Du Spieß?" sagte er, ich sagte nein - "ah" sagte er und zu Sepp: "Du Spieß?" ja, sagte Sepp. Nun stellte sich heraus, daß er leidlich deutsch sprach. Sepp kam bald mit der unvermeidlichen Frage, wann wir nach Hause kämen - "nicht bald, nicht bald!" sagte die kleine Kröte.

"Ihr noch rabotti müßt - vielleicht Jahr, vielleicht drei oder zehn Jahr - ich nicht weiß! Nitschewo - Rußland gut!" Nun wir waren gar nicht seiner Meinung - 3-10 Jahre und Rußland gut!

Wir frugen, ob er in Deutschland gewesen wäre. Oh ja, gewesen und er bleckte seine gelben Zähne. "Deutschland gut, viel Burschoa, viel Weiber, gut ficken" - und als wir ungläubig dreinschauten - "oh, ich machen so"- und damit riß er seine MP im Hüftanschlag - "die Weiber oh!" damit ahmte er mit quiekender Stimme Schreie nach, "dann ich!" und er zeigte wie er ihnen unter die Röcke gegriffen und sie hingeschmissen habe.

Sepp sagte: "Murks mern oh" im breitesten Dialekt - das verstand er nicht. Sepp zuckt nur die Schultern. Der Kleine wurde lebhaft und sagte zu uns: "Ihr kommen mit wenn Nacht - in Bauernhaus gehen und Frauen nehmen." Sepp fluchte. Nach Hause wollten wir, sonst nichts - und dabei marschierten wir gen Osten.

Drückend heiß wurde es unter Tags. Eine Staubsäule stand über der Marschkolonne. Mittags machten wir Rast an einem Flußlauf. Erschöpft sanken wir alle am Straßenrand nieder. Auch noch Zerstörung, wohin man sah. Einige stürzten zum Wasser und tranken das schlammige stinkende Wasser. Ich füllte meine Dose halbvoll und machte ein kleines Feuer über dem ich das Wasser abkochte. Kaum war ich fertig, gings weiter. Stumpf trotteten wir dahin. Die Heimat war so weit und dazwischen so viel feindliches Land.

Endlich kam eine kleine Stadt in Sicht. Sie war wie ausgestorben. Ein großes, mit Stacheldraht gespicktes Tor öffnete sich und wir marschierten an den Posten vorbei. Es war ein Teil dieser Stadt, den man mit dreifachen Stacheldrahtzäunen abgetrennt hatte. Auf einen großen gepflasterten Platz wurden wir aufgestellt und das Zählen begann. Wir mußten uns zu fünft aufstellen, aber das dauerte trotzdem sicher eine Stunde.

Nach der Zählung wurden die Reihen auseinadergezogen und wir erhielten den Befehl, alle unser Sachen vor uns aufzulegen. Uhren und Messer wurden so gut wie möglich versteckt. Ein blatternnarbiger Russe trat zu mir heran, betastete meine Uniform, sah meine Sachen genau durch, ohne das Fotoobjektiv im Brot und das Taschenmesser unter der Zeltplane zu entdecken. Nach etwa drei Stunde wurde uns ein Dachboden als Lager zugewiesen. Es war weder Stroh, noch sonst etwas vorhanden. Durch die Ritzen in den Brettern sah man auf die Tenne, die ebenfalls dicht belegt war. Dreimal gab's Suppe und einmal Brot, ein kleiner Laib für neun Mann.

Schnell bildeten wir Gruppen. Wir hatten den ganzen Tag nichts zu tun. Ein deutscher Landser war Lagerkommandant. Er hatte einem Panzerfeldwebel die Uniform weggenommen und brüllte den ganzen Tag herum. Die Latrinen waren riesig groß, 4m tief aber dauernd besetzt. Als ich einmal herumschlenderte, bemerkte ich an einer Tür eine Wache - ah, das war der Karzer - also Arrest für Lagerinsassen.

Auf einmal hörte ich meinen Namen rufen. Bald wußte ich woher das kam. Die Kellerfenster waren mit Brettern vernagelt und von daher kam die Stimme. Ich setzte mich neben das Fenster in die Sonne - der Posten beachtete mich nicht und so hörte ich, daß es Karl war. Er hatte sich sofort nach der Kapitulation mit einigen anderen in die Wälder geschlagen, um nach Hause zu kommen. Also hatte man ihn erwischt.

Er flüsterte mir zu, daß er schon 8 Tage nichts zu essen hätte. Dann sagte er noch, daß ich ihn treffen könne, wenn er auf die Latrine geführt werde. Ich verständigte einige Kameraden und wir sammelten einige Stück Brot, die wir ihn dann zukommen ließen. Er war abgemagert und gänzlich verwahrlost.

Ich bekam bald ein merkwürdiges Jucken und der Sani stellte Grätze fest. Also wanderte ich ins Krankenzimmer. Dort war wenigstens Platz zum schlafen und einige Verpflegungsportionen erhielten wir von den Kameraden, die schwer krank waren.


Hier brechen leider die Aufzeichnungen ab. Im Waldlager bei Noginsk "durfte" dann Vater in einer Schmiede arbeiten - seinen Freund Karl nahm er in die Schmiede als Gehilfe mit, obwohl dieser Friseur gelernt hatte. Seine weiteren Erlebnisse sind mir nur mündlich überliefert - seine Erkrankung am Unterschenkel (Phlegmone) die er sich selbst durch Aufschneiden des Beines behandelte - die Prügel von russischen Wachposten, weil er am Feld Erdäpfeln "klaute" - sein Hungerstreik um früher nachhause zu kommen und schließlich seine endlos lange Heimreise im Viehwaggon.

Der "Karl" hieß Karl Inschlag, stammte aus Wien und kehrte zirka ein Jahr früher als Vater von der Gefangenschaft heim, erzählte meiner Mutter vom "Hansl", wobei er natürlich geflissentlich das Ärgste ausließ.

Die gemeinsam durchlebten Ereignisse verbanden Karl Inschlag und meinen Vater in einer lebenslangen Freundschaft.

  • Transport nach Russland 7 Tage - Waldlager bei Noginsk
  • Lessa Wod (Holzsägewerk bei Noginsk) - Schmiede in Flughafen
  • Hungerstreik - O K - (= ohne Kraft - arbeitsunfähig)
  • Waldlager
  • Sammeltransporte 5.10.47
    1. Station Balatschiki bei Moskau - Kolomea(?)
    2. Grenze Rumänien durch die Tatra - Budapest
    3. Heimtransport - Wr. Neustadt
    4. 27. 11. 1947: Heimkehr

15.4.1948 Aufnahme - Justiz-Dienstantritt am Landesgericht für Strafsachen, (Steno-Prüfung) Schreibabteilung - Kanzlei Vg 18

  • Versetzung BG Hernals - 1. Kanzleikurs, 2. Stenoprüfung
  • Versetzung Lg.f.ZRS Abt. 15 Cg - Beamtenmatura
  • Versetzt BG Döbling - Kurs für Rechtspflege in Grundbuchsachen
  • Zugeteilt BG Hainburg - zugeteilt BG Döbling -
  • Zugeteilt BG Eisenstadt und zum Rechtspfleger ernannt -
  • Versetzt zum BG Hernals

Am 12. März 2004 verstarb Vater, nach vierwöchigem Aufenthalt, im Geriatriezentrum Lainz.

Hans-Peter Ruland für WGMSG, 2.8.2006

Erzählen SIE uns von früher. Wir veröffentlichen Ihre Geschichte.

Diese Seite an jemanden senden






Zurück | Vor


XHTML | CSS|

WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE.

Ein DER LICHTBLICK Projekt.