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PERSÖNLICHE ERINNERUNG:
  • AutorIn: Herbert Dobner
  • Geburtsdatum: 25.9.1941
  • Titel: Hofrat
  • Wohnort: Lindenbauergasse 84/1/19, Wien
  • Land: Österreich
  • E-Mail an Autor

Schreibende Hand mit Schriftzug DIE DIGITALE BIBLIOTHEK

Hofrat Herbert Dobner

Meine Sicht der Jahre 1945 bis 1955 / ca. 1945

Bild zur persönlichen Erinnerung
Der Autor in jungen Jahren

Die österreichischen Jubiläumsjahre aus meiner Sicht (Geburtsjahr 1941)

Ich erinnere mich (Gott sei Dank war ich damals ja noch sehr klein und konnte die ganze Tragweite der Geschehnisse nicht erfassen) an die letzten Kriegsmonate nur sehr sporadisch. Ich weiß nur, dass ich immer, wenn im Radio der Kuckuck zu hören war (was bedeutete, dass feindliche Bomber im Anflug auf Wien waren) eine Umhängtasche, in der einige persönliche Sachen waren, nehmen musste, mir ein Pappschild mit meinem Namen und persönlichen Daten umhängte und mit meiner Mutter (mein Vater war ja als Soldat eingerückt) in den Keller unseres Wohnhauses (ich wohnte damals in Margareten) rannte.

Der Keller hatte eine Art Notbeleuchtung und jeder der Mieter hatte seine Ecke im Keller, mit Sesseln, Kisten und Decken, auf der man dann saß und hoffte, dass keine Bombe direkt auf das Haus fiel. Ich verstand das natürlich nicht so sehr und benutze den Fliegeralarm immer dazu, im Luftschutzkeller Fahrkarten zu verkaufen, was naturgemäß nicht allen Erwachsenen gefiel. Das dumpfe Dröhnen der einschlagenden Bomben jedoch, das machte auch mir damals Angst.

Eines Tages schlug eine Bombe im Nebenhaus ein, wir waren damals gerade im Luftschutzkeller meiner Tante, da wir bei ihr auf Besuch waren. Zurück in unserem Haus sah ich, dass offensichtlich durch den Bombeneinschlag im Nachbarhaus ein Wasserleitungsstrang getroffen war und unser Keller total unter Wasser stand.

Für mich und meinen Freund, der wir die Sorge unserer Erwachsenen nicht verstanden, war das klass, denn wir holten uns aus der Waschküche, die ja damals auch im Keller war, einen Waschtrog und paddelten damit im Keller herum, solang bis uns meiner Mutter mit kräftigen Händen aus dem Keller holte.

Als dann die totale Bombardierung von Wien einsetze, wurde ich mit meiner Mutter und meiner Kusine in eine kleines Dorf in Niederösterreich evakuiert.

Dort wohnten wir in einem kleinen Zimmer bei einer bekannten Familie und ich fühlte mich wie im Urlaub, wobei ich die Angst der Großen nicht verstand, die immer nach "den Russen" Ausschau hielten. Ich fand dort auch einige Spielkameraden aus dem Dorf und alles schien klass zu laufen, bis eines Tages meine Mutter mich und meine Kusine, die damals 12 Jahre alt war, mit Gewalt ins Haus holte und die Türe verschloss.

Meine Mutter griff in die Kohlenkiste und schmierte sich ihr Gesicht mit Kohlenstaub ein, dann gingen wir in den Garten, meine Kusine und die beiden Töchter der Hausinhaber mussten auf einen Baum klettern und sich dort oben mit Schnüren anbinden. Ich fand das als neues Spiel sehr lustig, bis mir meine Mutter erklärte, ich solle still sein, die Russen kommen bald ins Dorf.

Am späten Nachmittag hörte ich auf der Strasse vor dem Haus Motorengeräusch und Geschrei, das ich aber nicht verstand. Die Frauen und wir Kinder im Haus saßen dicht zusammengedrängt, als plötzlich die Türe aufgestoßen wurde und fremd aussehende Soldaten mit Maschinenpistolen im Anschlag, ins Zimmer kamen.

Ihre ersten Worte waren: "Germanski, Soldaten, wo?"

Eine Frau antwortete darauf, dass hier keine Soldaten sondern nur alte Frauen (jetzt verstand ich, warum sich alle Frauen Kohlenstaub ins Gesicht geschmiert hatten) und Kinder sind.

Darauf kam seine zweite Frage: "Nazis wo?"

Wieder die Antwort, dass hier nur Kinder und alte Frauen im Haus waren.

Darauf gingen die russischen Soldaten, vor denen ich eigentlich keine Angst hatte (ich verstand ja nicht den Hintergrund), durchs ganze Haus und als sie wieder zurückkamen sagte der eine: "Karaschow alles guttt" und sie verließen uns. Die jungen Mädchen auf dem Kirschenbaum im Garten hatten sie nicht gesehen.

Nach einiger Zeit hörten wir auf der Strasse wieder ein Geschrei und ein Quieken. Durchs Fenster sahen wir, wie die Russen aus dem Nebenhaus ein Schwein, das sich der Besitzer als Nahrungsreserve gehalten hatte, herausgeholt hatten und es gerade abstachen. Mitten auf der Strasse wurde ein Feuer angemacht das Schwein ausgenommen und gebraten. Dann wurde von den russischen Soldaten das gebratene Schwein verzehrt.

Das alles interessierte mich natürlich sehr und da man ja aus dem Fenster nicht alles so genau sehen konnte, ging ich vor die Haustüre. Meine Mutter wollte mich grade zurückholen, als ich plötzlich von einem russischen Soldaten mit Pelzmütze und Schnauzbart hochgehoben wurde. Er sprach mich an (ich verstand natürlich nichts, hatte aber auch keine Angst), ging mit mir zum Feuer und schnitt dort ein Stück Fleisch ab, das er mir in die Hand gab, mich am Boden stellte und mich mit einem Klapps zurück zum Haus schickte, wo meine Mutter schon Todesängste ausstand.

Das war in meiner Erinnerung meine erste Begegnung mit russischen Soldaten. Die zweite sollte nicht so harmonisch ausgehen!

Diese Einheit zog nach einigen Tagen weiter und wurde von andern Russen abgelöst, die sich sofort nach dem Bürgermeister erkundigten, das Bürgermeisteramt als Unterkunft requirierten und alle Bewohner des Dorfes zu einer Versammlung auf den Hauptplatz (ein kleiner Platz, auf dem auch eine Kapelle stand, denn in dem Dorf gab es keine richtige Kirche) befahlen.

Dort wurden irgendwelche Vorschriften verlesen und dann erklärt, dass der Bürgermeister und zwei andere Dorfbewohner Nazi seien und daher hingerichtet werden. Anschließend darauf wurden die drei Männer am Hauptplatz von einigen Soldaten erschossen.

Ich habe das nicht direkt gesehen, da ich klein war und nicht über die Menge sehen konnte und meine Mutter hatte mein Gesicht an sich gedrückt, ich hörte nur die Schüsse und meine Mutter hat dann mit meiner Kusine und mir ganz schnell den Platz verlassen.

Es war dann eine Zeit, in der man nicht mehr so gut spielen konnte, die Freunde konnte man auch nicht so oft treffen, es gab immer wieder Kontrollen und man musste dann auch im Haus bleiben.

Eines Tages gab es aber im ganzen Haus und im Ort Freude (und auch Tränen), da uns die Meldung erreichte: Der Krieg ist zu Ende, der Widerstand in Wien ist gebrochen, Wien ist von den Alliierten eingenommen worden.

So konnten wir bald darauf, Gott sei Dank, wieder nach Wien zurückkehren.

Doch wie sah es da aus, in unserer Wohnung waren alle Möbel durch den Explosionsdruck einer Bombe im Innenhof durcheinander gewirbelt, zum Glück war das Haus noch intakt. Ein Kindergarten war auch geöffnet, in dem ich bis zum Schulanfang 1947 meine Zeit verbrachte.

Dann begann die Schule, ein großes Ereignis. In Erinnerung blieb mir die Ausspeisung; Im Kellerraum der Schule bekamen wir täglich ein Mittagessen aus großen Behältern auf Blechteller und meistens war es Eintopf und Bohnen waren das Hauptgericht, den Geruch in diesem Ausspeisungsraum bekam ich lange nicht aus meiner Nase, er war grässlich für mich. Zusätzlich gab es Lebertran-Kapseln, an sich gut für den Knochenaufbau, aber für mich ebenfalls grauslich, so dass ich sie bei jeder Gelegenheit ausspuckte!!!

Deswegen musste ich sie später unter mütterlicher Kontrolle einnehmen. Als Ersatz dafür gab es bei uns Buben ein tägliches Spiel:

In Margareten waren ja die Engländer Besatzungssoldaten, die eine ehemalige Schule als Kaserne umfunktioniert hatten, die mit Stacheldrahtrollen gesichert war. Die Wachsoldaten hatten einen köstlichen Kaugummi und wir Kinder riefen dann immer: "Kaugummi Sir".

Die Wachtposten nahmen dann ein Paket Kaugummi, warfen es über den Stacheldrahtzaun und hatten riesigen Spaß dabei, wie sich wir Buben um den Kaugummi rauften. Da ich damals etwas kräftig war, hatte ich oft Glück und konnte mit englischem Kaugummi den Lebertrangeschmack neutralisieren.

Erinnern kann ich mich auch an die Lebensmittelmarken, die man immer ausschneiden musste, damit man dann dafür etwas kaufen konnte, wenn eine Lieferung überhaupt kam, es waren ja alle wichtigen Lebensmittel rationalisiert.

Es gab auch extra Hilfslieferungen und ich erinnere mich noch, wie eines Tages vor unserem Haus ein LKW, voll beladen mit Gurken hielt und diese Gurken einfach auf den Gehsteig kippte.

Heute würde dieser Gurkenberg wahrscheinlich verfaulen, damals war er von den Bewohnern innerhalb einer halben Stunde ratzeputz abgebaut und weggetragen.

Bei uns zuhause gab es daraufhin sehr oft Speisen mit Gurken!

Am Nachmittag war Spielen angesagt und da gab es klasse Möglichkeiten: Viele Häuser waren ja durch Bombentreffer zerstört, lauter Ruinen, die natürlich ideal zum Versteckspielen und zum Entdecken waren – an mögliche Gefahren dachte ja damals keiner von uns- aus den Ziegeln konnte man Burgen und Mauern bauen und ordentliche Schlachten veranstalten.

Ballspiele wurden auf der Strasse gespielt, es gab ja damals kaum Autos, eher ein paar Pferdegespanne, so dass die Strasse uns gehörte.

"Anmäuerln", Geldstücke wurden gegen eine Mauer geworfen, wer mit seinem Geldstück näher lag, hatte gewonnen, "Gitschen" ein Kugelspiel, bei dem Kugeln in ein Loch getroffen werden mussten und wer eine andere Kugel anstieß - "angitschte" - dem gehörte die Kugel und natürlich auch "Zur Suppen, zur Suppen, die Knödel san hass" ein Ballspiel, ähnlich wie das "Abschießen" als auch "Zimmer, Küche, Kabinett", ein Spiel, bei dem man als Erster beim Ansager sein musste, wurden bei uns oft gespielt.

Na ja und so ging es auf das Jahr 1955 zu, aber das ist eine andere Geschichte!

Hofrat Herbert Dobner für WGMSG, 21.11.2005

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