Einmal haben sie (die russischen Grenzsoldaten) mich dann sogar erwischt, als ich ein von ihnen gestohlenes Rad wegnahm. Die Patrouille war in ein Gasthaus eingekehrt, und es handelte sich um zwei passable Burschen, worauf ich bei meiner Aktion auch vertraute. Ich hatte mich aber gründlich getäuscht, denn plötzlich tauchten sie wieder auf, und einer von ihnen schoss auf mich. Er hätte mich vielleicht auch getroffen, aber der andere riss ihm das Gewehr in die Höhe und rief mir zu, ich solle so schnell laufen wie ich kann.
Bei dieser Patrouille handelte es sich übrigens um eine Mauthausener Einheit, denn von der Ennsbrücke flussabwärts war die russische Besatzung von Mauthausen zuständig, die Ennsdorfer hingegen flussaufwärts. Die Russen hatten die Mauthausener Eisenbahnbrücke über die Donau mit Brettern ausgelegt und somit für Züge, Fußgänger und Fahrzeuge zugänglich gemacht. Erst später, als der Verkehr mehr zunahm, wurde auch eine eigenen Straßenbrücke dazugebaut. Damit wurde die damals unwichtige Bezirksstraße nach St. Pantaleon zur viel befahrenen Bundesstraße 123, die ins Mühlviertel führt.
Die Zonenkontrolle wurde mit der Zeit immer weniger streng, und am 9. Juni 1953 war es schließlich so weit, dass die Kontrolle ganz aufgehoben wurde. Im Radio hatte ich schon gehört, dass auf der Linzer Donaubrücke bereits Walzer getanzt wird, und um 11.30 Uhr kam dann der russische Kommandant zu mir und fragte mich, warum man auf der Ennsbrücke keine Feier veranstalte. "Große Brücke, Linzbrücke nichts, Ennsbrücke ist wichtig!" meinte er.
Daraufhin rief ich den Ennser Bürgermeister Ziegler an und erklärte ihm, dass der Kommandant eine Feier wolle. Ich vereinbarte mit ihm, dass wir um 19 Uhr eine Feier abhalten werden, bei der auch die gemeinsame Enns-Ennsdorfer Blasmusik spielen solle. Ich rief auch noch den Bezirkshauptmann an und fuhr mit dem Fahrrad zum Feuerwehrkommandanten, der statt des abwesenden Bürgermeisters im Namen der Gemeinde Ennsdorf sprechen sollte.
Um 19 Uhr waren dann alle auf beiden Seiten der Brücke versammelt, nur der Bezirkshauptmann fehlte noch. Wir konnten aber die Leute nicht mehr warten lassen, und so gingen wir zuerst über die Brücke auf die amerikanische Seite hinüber, wo der amerikanische Kommandant eine Rede auf Englisch hielt - nur wer Englisch konnte, verstand ihn also - und dann noch der Ennser Bürgermeister. Dann gingen wir alle nach Ennsdorf zurück, wo der Russe und der Feuerwehrkommandant Watzek eine Rede hielten. Letztendlich kam auch noch der Bezirkshauptmann, hielt auch noch eine Rede.
Aber dann gingen wir alle - die Russen, die Amerikaner, die Vertreter der Gemeinden Ennsdorf und Enns - ins Gasthaus bei der Bahn und feierten und tranken bis 3 Uhr in der Früh. Am nächsten Tag kam noch der Russe zu mir auf die Gemeinde und sagte mir, dass es eine sehr schöne Feier gewesen sei. Bei dieser Feier waren hunderte Leute, von denen viele zum ersten mal über die Brücke gingen. Als ich sie fragte, warum, meinten sie, dass sie Angst vor den Russen gehabt hätten.
Dieser Beitrag ist den Nachkriegserinnerungen von Johann Zauner entnommen, die uns von unserem Kooperationspartner Dietmar Heck zugänglich gemacht wurden.
Johann Zauner war ab 1945 zunächst als Gemeindebediensteter in Ennsdorf tätig, von 1960-1998 war er durchgehend Bürgermeister von Ennsdorf.
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