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PERSÖNLICHE ERINNERUNG:
  • AutorIn: Jakob Engel
  • Geburtsjahr: 1984
  • Wohnort: Wien
  • Land: Österreich
  • Erstpublikation:
    Jüdisches Museum Hohenems, Februar 2004
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Jakob Engel

Der Schikurs / 1992

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"Waast eh: Die Juden stinken. Hat mir mein Papa erzählt. Genau wie a Schas". Mit dieser pointierten Bemerkung sorgte Josef, mein Schikurskollege aus Krems dafür, dass ich im Alter von sechs Jahren während dem gemeinsamen Mittagessen schon meine erste reale Begegnung mit Antisemitismus hatte. Ich habe damals schon gewusst, was ein Nazi ist und auch, dass dieser Haider-Typ aus dem Fernsehen uns Juden nicht mochte.

Sehr jüdisch fühlte ich mich aber trotzdem nicht, da ich fast komplett ohne ein Bewusstsein meiner Religion aufgewachsen bin. Ich fragte Josef in einem etwas herablassenden Ton, wie er zu diesem Schluss gekommen ist. Seine Antwort: "Keine Ahnung, aber wenn's der Papa sagt, dann stimmts!" Diese Antwort sprach für sich.

Als ich am Ende des Tages von meinen Eltern bei der Talstation abgeholt wurde, hatte ich in der Aufregung über meine spektakulären Fortschritte beim Pflugbogenfahren und nicht weniger spektakulären Stürzen mein Erlebnis während des Mittagessens schon fast komplett vergessen. Beim Abendessen in unserer kleinen Semmeringer Pension erinnerte ich mich wieder an Josefs Worte und fragte, so ganz nebenbei, ob wir Juden tatsächlich stinken, obwohl ich fast jeden Tag duschte. Verwirrt fragte mich meine Mutter, wie ich denn auf dieses Thema gekommen bin.

Als ich meinen Eltern alles erzählt hatte, waren sie, zu meiner Verwunderung, komplett fassungslos. Zur Sicherheit fragten sie mich, ob es sich nicht um eines meiner "G'schichteln" handelte. Ich schüttelte vehement meinen Kopf. "Wir holen dich aus diesem schrecklichen Kurs sofort raus", entschied meine Mutter abrupt.

Sie hatte schon von Anfang an Vorbehalte, als sie sah, dass wir uns am Ende jeden Kurstages, einen Schi im rechten Winkel zum Schnee haltend, mit einem dreifachen "Schi-Heil!" verabschiedeten. Mein Vater widersprach ihr und schlug vor, dass ich am nächsten Tag beim Mittagessen mit Josef reden sollte, um ihm zu erklären, dass man solche Verallgemeinerungen nicht machen kann und dass er mich als Juden persönlich verletzt hat. "Man darf vor solchen Trotteln nicht davonlaufen", meinte er.

Das klang alles sehr rational, doch ich wollte wirklich nicht wegen so einer kleinen Sache meine Freundschaft mit Josef aufs Spiel setzen, also beschloss ich, das Thema doch nicht anzusprechen. Meine Eltern schilderten am nächsten Tag meinem Schilehrer Karl meine Erfahrungen vom Vortag und als wir alle am Gipfel versammelt waren, erklärte uns Karl, dass es "eh leiwand" sei, wenn jemand nicht christlich ist und dass man daher keine Kommentare machen soll, die von Anderen als Beleidigung empfunden werden könnten.

Natürlich starrten alle meine Kameraden mich an und ich genierte mich unheimlich für die Überempfindlichkeit meiner Eltern. Beim Abendessen erzählte ich trotzdem stolz, dass ich Josef zur Rede gestellt hatte und dass er sich bei mir entschuldigt hat. Dies schien meine Eltern zufrieden zu stellen und sie betonten, wie beeindruckt sie von meiner Reife seien. In der Hoffnung dieses Thema damit abgeschlossen zu haben, konnte ich wieder ohne Ablenkungen beim Abendessen meine tollen sportlichen Taten vom Tage schildern.

Der Schikurs blieb relativ ereignislos, und beim Mittagessen reduzierten sich die Gespräche vor allem auf Patrick Ortliebs Sieg in der Olympiaabfahrt von Val d'Isere. Im Rausch des Patriotismus wurde Religion nebensächlich. Trotzdem war es ein besonderer Genuss, als ich im abschließenden Schirennen mit überlegener Bestzeit triumphierte. Josef wurde mit mehr als drei Sekunden Rückstand Vorletzter.

Jakob Engel, geboren 1984 in Wien, dort Besuch der Amerikanischen Schule, studiert seit 2002 Internationale Beziehungen und Vergleichende Literaturwissenschaft in Philadelphia, USA.

Eine von 43 Geschichten aus dem Buch "So einfach war das."
© Jüdisches Museum Hohenems.

Jakob Engel für WGMSG, 15.3.2006

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