
Nur so ganz idyllisch, wie sich das jetzt anhört, war es allerdings nicht. Wir haben schon auch unsere Kriegserlebnisse abbekommen, als der Westbahnhof abbrannte. Das war noch vor den Russen. Wir saßen alle in der Waschküche - das war nämlich unser "Luftschutzraum" - es war Abend, da gab es plötzlich ein sonderbares Geräusch, ein riesengroßes Klirren, niemand hatte so was je gehört gehabt. Also ich war halt besonders neugierig, bin hinauf in die Wohnung in den zweiten Stock, spürte einen Windhauch als ich die Tür öffnete, lief zum Fenster, das war irgendwie offen, ich hatte aber doch zugeschlossen, denn es war kalt. Ja, die Rahmen waren wohl zu, aber es war kein Glas mehr im Fenster. Ein Blick hinaus - in allen Häusern der Gasse waren die Fenstergläser zerbrochen, lagen die Scherben auf der Straße.
Und dann entstand ein roter Schein am Himmel. Wir hatten gegenüber ein ebenerdiges Haus, eine Schnapsbrennerei, so dass wir ein großes Stück Himmel überblicken konnten. Da war nur mehr das Bezirksgericht Fünfhaus, das stand schon in der nächsten Gasse, der Sperrgasse. Dahinter befand sich schon der Aufgang zur Schweglerbrücke mit dem Bahngelände darunter. Der Feuerschein wurde immer höher, bedeckte bald den ganzen Himmel, Flammen brannten herauf. Es brannte dann drei Tage lang. Die Schweglerbrücke, deren Fußgängerteil aus Holzbrettern bestand, die Fahrbahn mit Teer bedeckt, brannte ab. Darunter standen Lastzüge mit Übersiedlungsmaterial, also Hausrat der reichsdeutschen Bewohner von Wien, die nachhause übersiedeln wollten.
Die Züge konnten aber nicht mehr weg, sie standen auch in Flammen; auch alle Magazinbaracken der Speditionen, alle bahneigenen Baracken, alles aus Holz brannte ab. Der Bahnhof selbst, etwas weiter weg gelegen, war vollkommen zerstört, ausgebrannt, nur mehr eine Ruine. Feuerschein hat man damals am Himmel über Wien immer wieder gesehen, aber keinen wie diesen, eine riesige Feuerwand, wie ein riesiger Teppich, der da vom Himmel herunter gelassen worden wäre. Ich erinnere mich an das erste Feuer, das so offen hinaufloderte, als im Jahr 1938 in der Turnergasse der Judentempel abbrannte. Ich kam gerade zurecht, als die Kuppel einstürzte. Eine große Menschenmenge war da, keine Feuerwehr kam.
Als die Russen schon da waren, hatten sie die Angewohnheit in kleinen Tieffliegern über die Dächer zu brausen und mit irgendwelchen Geschossen die Dächer zu beschießen. Ziegel splitterten, Kamine wurde beschädigt, Menschen kamen nicht zu Schaden, ich habe jeden falls nichts davon gehört. Natürlich waren Leute auf der Gasse, ich auch. In der Sperrgasse explodierte so ein Geschoss, Splitter davon fielen herunter. Wir hatten uns in einen Hausflur zurückgezogen. Als der Flieger weg war und wir die Splitter sahen, stürzten die Leute herbei, um ein solches Stück als Souvenir zu ergattern. Ich hab' auch eins erwischt, es war noch ganz heiß. Ich habe es heute noch.
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