
Am 20 August 1945. Es hatte sich nicht viel geändert, meine Mutter ging wieder ihrer Tätigkeit bei der Hauptpost nach, wo vorläufig Aufräumarbeiten durchgeführt wurden. Normaler Postbetrieb war noch nicht möglich. Meine eigene "Firma" hatte ja totale Pleite gemacht, ich war bei der deutschen Wehrmacht im Flugmeldedienst beschäftigt gewesen. Ich war also arbeitslos.
Es war jetzt schon möglich in die anderen Zonen in Österreich zu gelangen, wenn man bestimmte Erlaubnisscheine hatte. Die hatte ich natürlich nicht, also ging ich auf gut Glück. Ich hatte Arbeitskolleginnen in der amerikanischen Zone, die wollte ich besuchen. Man hörte Wunderdinge über die günstige Versorgungslage da drüben. Man konnte mit dem Zug schon vom Westbahnhof bis nach St. Valentin fahren, dort war's zu Ende. Dann musste man trachten, irgendwie über die Enns zu gelangen. Es lagerten eine Menge Leute in der Au, warteten auf eine Überfuhrmöglichkeit, ganze Familien waren da. Sie hatten gewaschene Wäsche in den Bäumen aufgehängt, alles deutete auf eine lange Wartezeit hin.
Würde ich mich da wohl durchsetzen können, so allein, ohne zu einer Gruppe zu gehören? Ich ging zum Ufer hinunter, da stand ein Kahn mit einem Ruderer, einige Leute stiegen ein, ich stieg auch ein. Keiner sagte ein Wort, schweigend setzten wir über, dort stand ein Lastwagen, wir stiegen ein und er brachte uns nach Urfahr, zu jener berühmten Brücke, die Russland von Amerika trennte. Und wie weiter? Es kam eine Straßenbahn, ich stieg ein, mit mir zwei amerikanische Soldaten. Sie schauten sich flüchtig auf der Plattform um, eine Frau drückte mir eine Karte in die Hand, da waren die Amerikaner schon weiter gegangen. "Sie müssen eine Ausweiskarte haben!" sagte sie zu mir, als ich ganz verständnislos dreinschaute und nahm die Karte wieder an sich.
So war ich nun in der amerikanischen Zone, ca. zwei Stunden nach meiner Ankunft in St. Valentin. Überall wo ich erwähnte, ich käme gerade aus Wien, wurde ich als "Flüchtling" angesprochen. Da dachte ich, wenn ich nun ein Flüchtling bin, so muss man mir auch helfen, denn ich erinnerte mich kaum mehr an meine letzte Mahlzeit und war entsprechend hungrig. Inzwischen war ich mit der Bahn nach Schwanenstadt gefahren, dort hatte ich einen Brief von Verwandten abzugeben.
Ich ging also, um nicht mit knurrendem Magen bei den Leuten anzukommen, aufs Gemeindeamt und bat um Reisemarken für drei Tage. "Ich komme zu Verwandten auf Besuch, die sind aber nicht da, ich muss sie erst suchen ...". Mit saurer Miene bekam ich das Gewünschte, die Ausfolgung wurde auf meinem Wiener Heimatschein bestätigt. Ich hielt also einige Schnitten Brot oder Semmeln und einige Dekagramm Wurst in Händen, erst einmal auf dem Papier, aber das musste sich ändern.
WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE.
Ein DER LICHTBLICK Projekt.