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Berta Schumich

Erinnerungen [08]: In Zell am See / ca. 1945

Gisela war eine liebe Kameradin, stets freundlich und hilfsbereit, wenn es galt jemanden im Dienst zu vertreten, obwohl das nicht gern gesehen war. Wir besprachen oft in der Dienststelle wie wir von der Wehrmacht loskommen könnten. Diese ewigen Nachtdienste, nun schon vier Jahre lang, die eingeschränkte Freizeit, keine Sonn- und Feiertage, immer die gleiche Tour fort. Ohne Urlaubsschein oder Marschbefehl durften wir uns nicht weiter als fünf Kilometer vom Standort Bruck an der Mur entfernen.

In Leoben gab's eine herrliche Konditorei, die irgendwoher einen köstlichen Kakao hatte, aber das war weiter als fünf Kilometer weg. Wir fuhren trotzdem hin, aber immer mit der Gefahr einer Urlaubssperre, oder mindestens eines riesigen Donnerwetters vor uns. Wir versuchten einen Arzt mit verschiedenen Krankheiten zu beschwindeln, um als dienstuntauglich eingestuft zu werden. Aber er ließ sich nicht beschwindeln. Eines Tages sagte Gisela, ich bin freigestellt, nur wieso, das sage ich nicht, man hat doch gerne ein kleines Geheimnis.

Ich ging zu Giselas Adresse, eine Dame, streng, in tadellos aufrechter Haltung, öffnete. "Guten Tag, ich möchte gern Gisela besuchen, wir waren zusammen im Dienst". "Heil Hitler", sagte die Dame, "Gisela ist nicht hier, sie ist in Glasenbach." "Ach dort wohnt sie jetzt. Wo ist denn das?" fragte ich etwas verblüfft. "Das ist ein Gefangenenlager für Nationalsoziallisten", sagte die Dame nicht ohne Stolz. "Dann können Sie mir vielleicht sagen, wo sich hier eine Meldestelle für Flüchtlinge befindet?" "Ja, auf dem Adolf-Hitler-Platz in der Hauptschule - also sie nennen ihn jetzt Hauptplatz", setzte sie noch hinzu.

Im Hotel "Lebzelter" soll ich um Arbeit fragen, empfahl mir jemand, aber die Besitzer waren nicht da, also begab ich mich zur Meldestelle für Flüchtlinge. Die Meldestelle war kein "Lager" wie wir es uns jetzt vorstellen, man bekam keinerlei Unterstützung, weder Essen, noch finanzielle Hilfe. Es gab einen Aufenthaltsraum mit Tischen und Bänken, Tee wurde ausgeschenkt. Man traf dort Leute in der gleichen Situation wie man selbst, konnte Erfahrungen austauschen, es gab auch primitive Schlafstellen für die Nacht, wenn man sich nichts Besseres hatte auftreiben können.

Ein pensionierter Schulwart war die Auskunfts- und Aufsichtsperson. Ein amerikanischer Soldat kam einmal am Tag vorbei, sprach mit ihm ein paar Worte, kümmerte sich aber nicht weiter um die Anwesenden. Ohne Bezugsschein gab's auch hier nichts zu kaufen. Leute die etwas Englisch konnten, fanden gelegentlich Arbeit bei den Amis, in der Küche, wenn man besonderes Glück hatte. Die waren natürlich besser gestellt, gaben auch mal was ab von ihren kulinarischen Schätzen. Ich wurde ein paar Mal von ihnen eingeladen um von Wien zu erzählen.

Mit den Einheimischen kam man fast nie in Kontakt, sie mieden uns. Einmal wurde ich angesprochen: "Sie haben kein Quartier? Ich habe eine Pension, sie können eine Weile dort wohnen. Wenn sie ein bisschen im Haushalt mithelfen, bekommen sie auch Verpflegung, meine Frau ist hochschwanger, die kann nicht mehr so recht." Das Quartier war kein Zimmer, sondern eine Matratze auf dem Balkon, aber die Sommernächte waren warm und angenehm. Das bisschen Haushalt stellte sich als riesiger Berg von Bettwäsche heraus und von helfen konnte man auch nicht sprechen, denn ich war ganz allein in der Waschküche.

Ältere Frauen wissen sicher noch, wie so ein Waschtag ablief: Die sortierte Wäsche am Vortag einweichen, Kessel heizen um warmes Wasser zu bekommen, dann die Wäsche mit Lauge und Reibbürste kochen und bürsten, dann mit der Waschrumpel bearbeiten, dreimal schwemmen und auswinden. In meinem Fall waren es mehrere Kessel Kochwäsche und das Auswinden der großen Stücke war eine Schinderei. Bevor das Ganze auf der Wäscheleine hing, waren gut zwei Tage vergangen. Lange Tage, zeitig morgens bis spät abends.

Und dann, meinte die Hausfrau, könne man diese frisch gewaschenen Vorhänge doch nicht vor die schmutzigen Fenster hängen, ich solle sie vorher putzen. Im ganzen Haus. Als dann endlich die gewaschenen Vorhänge vor den geputzten Fenster hingen, meinte die Dame, das Zimmer, das zu meinem Balkon gehörte, wäre nun vermietet und daher der Balkon nicht mehr frei. Vom Zahlen war keine Rede.

Berta Schumich für WGMSG, 11.12.2005

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