
Da man bei der privaten Arbeitssuche vor Übervorteilung nicht geschützt war, wollte ich durch das Arbeitsamt einen rechtlich gesicherten Arbeitsplatz finden. Ich hatte im Jahr 1937 eine Haushaltsbildung genossen. Das war ein Projekt der Gemeinde Wien, um den Problemen der arbeitslosen Jugend entgegen zu treten. Der "Verband christlicher Hausgehilfinnen" war das ausübende Organ. Das Projekt fand internationales Interesse. Wir lernten servieren, nähen, Pflege eines vornehmen Haushalts, mit Teppichen, politierten Möbeln, Kristalllustern, Porzellan, Silberbesteck u.s.w. und auch kochen.
Meine Spezialität war das Herstellen von feinen Mehlspeisen. Zur großen Abschlussfeier, wo auch Frau Bürgermeisterin (hieß sie Schmitz?), andere Honoratioren und die Presse teilnahmen, oblag mir das Mehlspeisbuffet. Meine Sacher- Dobos- und Malakowtorten, Eszterhàzyschnitten, das Bischofsbrot und die kleinen Fourès, fanden großen Anklang, wurden fotografiert, es erschienen Zeitungsartikel über das gelungene Experiment, Jugendlichen eine Fachausbildung gegeben zu haben. Daran dachte ich auf meinem Weg zum Arbeitsamt. Abwäscherin, Küchenmädchen, Hotelstubenmädchen, das könnte doch drinnen sein.
Als meine Adresse nannte ich dem Arbeitsamt das Flüchtlingsheim, ich hatte keine andere. Man fragte aber nicht, was ich kann, oder was ich will, der Beamte blickte in seine Liste: "Eine Saudirn brauchen's in Rauris", sagte er und füllte die Zuweisungskarte aus. Schweinemagd. Ich war enttäuscht und auch empört, er hätte fragen können, was ich für einen Beruf, oder welche Kenntnisse ich habe. Allein der verliehene Status "Flüchtling" genügte, da war das Primitive gut genug für mich. Ich genoss die Autobusreise in das Bergdörfchen Rauris und begab mich sofort zum Gemeindeamt. Meine Masche mit den Reisemarken wollte ich anbringen, das musste immer an einem anderen Ort sein.
"Bitte ich hätt' eine Stelle beim Schweinebauern antreten sollen, aber der hat schon wen, ich bitte um ein paar Reisemarken", das hätte ich sagen wollen. Ich begann auch, "eine Stelle hab ich...", aber der Gemeindeschreiber unterbrach mich: "Na, hat er endlich wen!" Und was er jetzt tat, ließ meinen Atem stocken! Er griff in seine Lade und entnahm ihr, Blatt um Blatt eine komplette Garnitur Lebensmittelmarken für einen ganzen Monat! Ich schaltete sofort: "Ja, und die Karte vom Arbeitsamt brauche ich wieder, ich muss sie zurückschicken".
Der Mann hatte gedacht, ich hätte schon mit dem Bauern gesprochen und die Stelle wäre fix. Ich enteilte, nun wirklich ein Flüchtling, so schnell ich konnte, nach Zell, löste alle Marken ein, packte alles in meinen Koffer und verabschiedete mich von meinen Gefährten. Mit guten Wünschen und einer Handvoll Briefe für Wien, fuhr ich erstmal nach Linz. Ich wusste, dass die Amerikaner für repatriierungswillige Ostösterreicher Züge zusammenstellten, die dann in Absprache mit den Russen nach Wien abgefertigt wurden.
Der Vorgang, wie man zu einem Platz in dem Reisezug kam war sehr einfach. Man meldete sich bei einer bestimmten Adresse in Linz ziemlich formlos. Mein Wiener Heimatschein als Identitätsausweis genügte vollkommen. Dann begab man sich zum Bahngelände, dort stand ein langer Zug mit Waggons, teils mit Sitzbänken, manche auch nur Güterwagen ohne Sitzmöglichkeit. Man musste dort warten bis die Waggons voll belegt waren. In der Zwischenzeit machte man sich's gemütlich, wie es halt ging. Man machte Feuerchen, um sich zu erwärmen, es wurde Tee verteilt und Graham-Kekse. Die Russen kontrollierten in den Waggons eher flüchtig. Es war eine lange Reise, mit langen Wartezeiten dazwischen. Schließlich war man zu Hause.
In Wien verteilte ich die Post gewissenhaft. Es war nicht einfach die Adressen zu finden, denn die Beschädigungen an den Häusern hatten auch vor den Straßentafeln nicht halt gemacht. Sie waren oft gar nicht da, die Haustore waren an einer anderen Stelle als gewohnt, weil eine Seite des Hauses verschüttet war, oder es fehlte ein Teil der Stiegen. Man musste alles bei hellem Tageslicht machen, um nicht in irgendein Loch zu fallen. Aber es gab schon streckenweise wieder die Straßenbahn. Sehr froh war ich, dass alle meine Adressaten noch am Leben waren, die Wohnungen noch alle benutzbar und die Freude groß bei allen, die nun nach langer Zeit von ihren Angehörigen hörten. Ich konnte im Gegenzug wieder Briefe mitnehmen. Einmal fuhr ich noch hin, nach Zell, man bekam ja mit der Zeit Routine.
Dann kam der Winter wo Leopold Figl seine berühmte Weihnachtsansprache hielt: " ich kann euch nichts geben, keinen Weihnachtsbaum, kein Glas zum Einschneiden,...ich sage nur, glaubt an dieses Österreich!" So ähnlich war der Text. Ich glaube aber, es war trotz aller Beschwernisse große Hoffnung unter den Menschen: es kann nur mehr besser werden. Man wartete auf die Heimkehrer, auf den Bahnhöfen standen die Menschen um nach ihren Lieben zu fragen. Nicht nur Soldaten wurden gesucht, auch die vielen Vertriebenen und Umgesiedelten von denen man nichts wusste. Es gab das rote Kreuz, wo man Vermisstenmeldungen abgeben konnte, im Radio wurden die Namen verlesen, die gesucht wurden. Es war also nicht Brot allein, das den Menschen fehlte.
WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE.
Ein DER LICHTBLICK Projekt.