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PERSÖNLICHE ERINNERUNG:
  • AutorIn: Franz Dungl
  • Geburtsdatum: 4.7.1924
  • Wohnort: 1190 Wien, Börnerg.15/5/2, Wien
  • Land: Österreich
  • E-Mail an Autor

Schreibende Hand mit Schriftzug DIE DIGITALE BIBLIOTHEK

Franz Dungl

Die Nachkriegszeit / 18.5.1945

Nach der Entlassung aus dem Gefangenenlager hielt ich mich bei einer Familie in Obernberg am Inn bis Ende August 1945 auf. Am selben Tag meiner Entlassung, am 18.Mai 1945, meldete ich mich bei der Meldebehörde in Obernberg am Inn an. Mit einem Schwiegersohn der Familie ging ich dreimal zu Bauern arbeiten. Auch Schutträumen für die Gemeinde musste ich, dann bekam ich die Lebensmittelkarte. Ansonsten lebte ich von den Ersparnissen auf meinem Postsparbuch. Von den Amerikanern bekam ich eine "I-Karte" (Identitätskarte). Auch kamen immer wieder amerikanische Soldaten zu uns auf Besuch. Wir unterhielten uns, trotz der Sprachschwierigkeiten, sehr gut.

Es ging das Gerücht um, dass links und rechts vom Gürtel in Wien alles zerbombt sei. Ungeachtet der Angst vor den Russen drängte es mich immer mehr, nach Wien zurückzukehren. Aber wie durch die Demarkationslinie, durch die Russenzone hindurchkommen, stellte sich mir die Frage. Hier hatte niemand Erfahrung. Am wenigsten mit den Russen. So zog ich meinen Drillichanzug, den ich vom Militär noch besaß, an und machte mich auf den Weg nach Wien. Noch heute bewundere ich selbst meinen Mut, da viele Heimkehrer von den Russen nach Sibirien, wie es damals hieß, verschickt wurden. Gründe waren damals nicht nötig.

Erst fuhr ich mit der Bahn nach Linz, dann mit der Straßenbahn nach Linz-Urfahr, ans andere Donauufer. In der Straßenbahn wurde ich zum ersten Mal kontrolliert. Ich konnte aber dem russischen Soldaten nur die amerikanische I-Karte vorweisen. Er fragte. "Du Stalingrad?" Ich wusste nicht, wie ich antworten sollte. Einige Fahrgäste versuchten, mir irgendwie zu helfen. Doch der russische Soldat ging weiter und stieg wieder aus. So hatte ich die erste Etappe hinter mich gebracht. Die zweite war in einem LKW mit Personenbeförderung. Vor Abfahrt des LKWs stiegen noch einige Russen hinzu. Ohne Rücksicht stießen sie mich und trampelten mit ihren Stiefeln auf meinen Füßen herum. Ich wagte mich nicht zu rühren oder einen Laut von mir zu geben. Die Fahrt ging bis Mauthausen.

Am 22.August 1945 hatte ich mich beim Bürgermeister in Markt Neumarkt i.H. in Oberösterreich gemeldet, um eine Tagesration zu bekommen, wie ein Stempel auf meinem Entlassungsschein beweist. Das war nun mein Reiseproviant. Von Mauthausen ging es wieder mit der Bahn ein Stück weiter. Dann vor Wien zu Fuss und über die Reste der zerstörten Floridsdorfer Brücke nach Hause, nach Wien-Währing, in die Semperstraße. Damals war in meiner Wohngegend nichts ausgebombt. Jahrzehnte später wurde dieses Haus jedoch niedergerissen.

Die Freude bei dem Wiedersehen war groß. Auch sollte ich am 1.September, 1945 wie 1939, bei meiner Firma wieder zu arbeiten beginnen. Vorsichtshalber fragte mich der Betriebsrat: "Findens Ihna nix bessers ?" Meine Antwort war nein, aber ich wollte mir noch meine Sachen aus Oberösterreich holen. Der LKW, der mich nach Oberösterreich bringen sollte, fuhr dann aber doch nicht. So fing ich ab 3.September 1945 wieder zu arbeiten an. Die Tour nach Oberösterreich machte ich ein Jahr später.

Am 27.April 1945 schlug im sowjetisch besetzten Osten unseres Landes die Stunde der Wiedergeburt von Österreich. Der Westen und der Süden war noch nicht befreit. Wieder war es, wie 1918, wo er Staatskanzler der provisorischen Regierung war, Karl Renner, der die Geschicke unseres kriegszerstörten Landes in die Hände nahm. Die drei demokratisch und antifaschistischen Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ konstituierten sich. Der überparteiliche Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) mit Johann Böhm an der Spitze wurde gegründet.

Das Hauptgebäude der Firma, wo ich beschäftigt war, wurde durch Bomben, die in unmittelbarer Nähe der Staatsoper und des "Philipps-Hofes" gefallen waren, schwer in Mitleidenschaft gezogen. Ohne Telefon, Post- und Eisenbahnverbindungen mussten die nötigsten Arbeiten erledigt werden, um wenigstens die wichtigsten Ausgaben, wie auch Gehälter bestreiten zu können.

Im Bürogebäude fehlten viele Fenster. In den einzelnen Räumen standen Kohlenöfen, deren Rohre zum Fenster hinausragten. Jeden Tag hatte ein anderer Heizdienst. Trotzdem hatten die meisten bei ihrer Schreibtischarbeit ihre Wintermäntel an. Der riesige Schuttberg vor dem Eingang des Hauses wurde erst allmählich kleiner. Ehemalige Parteigenossen der Nazis wurden entlassen, gekündigt, oder mussten Kellerarbeiten verrichten.

Franz Dungl für WGMSG, 17.10.2005

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