Ein Tag auf der Ennser Brücke
Echo der Heimat, 24.7.1947
- 5,05 Uhr:
- Ein Bauernwagen kommt von Enns und fährt im ersten Sonnenlicht über die Brücke - ohne viel Kontrolle und Formalitäten.
- 5,30 Uhr:
- Das Zeitungsauto aus Linz hat Verspätung, wird von einem Polizeibeamten flüchtig durchstöbert und setzt eilig seinen Weg fort.
- 8,20 Uhr:
- Ein vollbesetzter Autobus fährt vorsichtig heran. Während die Leute aussteigen und über die Brücke gehen, durchsucht die Polizei gewissenhaft das Gepäck. Butter und Fleisch, Zucker und Bohnenkaffee, meist nur geringe Mengen, werden unter heftigem Protest der Besitzer beschlagnahmt. Ein Koffer, drinnen fünf Kilogramm Butter und zwei Kilo Zucker, ist plötzlich ohne Besitzer.
- 11,10 Uhr:
- Zwei volksdeutsche Landarbeiter aus Ernsthofen kommen in Ennsdorf zum russischen Posten. Ohne Gepäck, sie sind keine Reisenden und wollen nur nach Enns. Der Posten nimmt ihnen die Ausweise ab und läßt sie warten.
- 11,40 Uhr:
- Ein Privatwagen kommt aus Richtung Wien. Am Schranken wird der Fahrer gebeten, auszusteigen und muß zur Kommandantur kommen. Dabei wird er von zwei Posten, die Maschinenpistolen in der Hand, in die Mitte genommen. Sein Wagen wird in ein Gehöft gefahren und dort abgestellt. Seine Frau erzählt, sie seien Volksdeutsche aus Jugoslawien.
- 11,50 Uhr:
- Es ist kein Posten da. Ein Lastauto mit Menschen fährt heran. Zögernd gehen die Leute durch die Sperre, sind schon auf der halben Brücke. Da springt ein Russe heran: "Zurrruck! Zurrruuuck!" Großes Gerenne. Wer weit genug weg ist, sieht zu, zum andren Brückenkopf zu kommen. Langsam und ängstlich gehen die übrigen zum Schranken zurück. Dort sind plötzlich viele russische Uniformen zu sehen. Schweigend prüft der Posten die Ausweise. Ungehindert können dann die Leute passieren. Ordnung muß sein!
- 12,30 Uhr:
- Beim Mittagessen im Gasthaus "Zum goldenen Ochsen" am Ennser Hauptplatz. Ein Ehepaar aus Amstetten erzählt, daß sie auf Sommerfrische ins Kremstal fahren. Sie hätten sich in der vergangenen Nacht mit einem Boot über die Enns rudern lassen. "Schwarz." Um hunderte Schillinge. Warum das? Sind ihre Ausweise nicht in Ordnung? "Doch, wir sind Österreicher. Wir heißen aber leider Heveszy." Ein ungarischer Name.
- 13,00 Uhr:
- Ich schlendere wieder zur Brücke. Von weitem sehe ich schon die beiden Volksdeutschen neben dem Postenhäuschen auf der russischen Seite im Straßengraben sitzen. Sie haben ihre Ausweise immer noch nicht.
- 14,00 Uhr:
- Fahrplanmäßig kommt der Autobus eines bekannten Reisebüros an die Brücke. Die Ausweise werden von einem Unteroffizier eingesammelt und die Leute müssen warten.
- 14,30 Uhr:
- Die Leute bekommen ihre Ausweise, die der Chauffeur verteilt, aber drei fehlen. Ein junges Mädchen, eine Frau, ein älterer Herr stehen ohne Papiere da. "Du nix abgegeben", sagt der Posten. Sie müssen warten.
- 14,45 Uhr:
- Die neue russische Wache nimmt die Ausweise der beiden Landarbeiter vom Fensterbrett des Wächterhäuschens und gibt sie den beiden. Sie sollen nach Hause gehen. Heute dürfen sie nicht nach Enns.
- 16,00 Uhr:
- Seit einer halben Stunde ist der Posten an der Brücke weg. Niemand darf hinüber. Eine lange Reihe von Kraftwagen und mehrere hundert Menschen warten. Niemand kann Auskunft geben.
- 16,10 Uhr:
- Endlich ist er wieder da und beginnt genau und scharf zu kontrollieren. Die Leute drängen nach. Da tritt er achselzuckend zurück und läßt alles durch, ohne sich weiter um die Pässe zu kümmern.
- 16,30 Uhr:
- Ich bemerke, daß die drei Leute in dem Wirbel verschwunden sind. Sonst nimmt niemand Notiz davon.
- 18,30 Uhr:
Ich fahre mit einem Lastwagen, der mit Übersiedlungsgut aus Wien kommt, nach Linz. Im Führerhäuschen ist noch Platz. Neben mir sitzt ein ganz besorgter Wiener Familienvater. "Ich evakuiert", erklärt er, "Sie wissen doch, in Wien ist jetzt alles so unsicher, man weiß nicht, was morgen sein wird. Jeder, der irgendwie kann, geht." Und dann erzählt er mir einen Teil der zersetzenden Gerüchte, die in Wien kreisen: Haltlose Vermutungen, Schwarzsehereien und Gehässigkeiten. Manchmal merkt man sofort, von welcher Seite sie ins Leben gerufen wurden, um die Bevölkerung zu schrecken. Und sie passen auch irgendwie zu der Brücke.
Aber ist es wirklich so schlimm? Geht der Verkehr nicht weiter? Es sind ja doch nur kleine und unwesentliche Schwierigkeiten. Vielleicht ließen sie sich bei einigem guten Willen verhindern. Es klappt ja an allen anderen Toren zwischen der russischen und der amerikanischen Besatzungszone. Man soll nicht immer aus einem oder vielen Einzelfällen gleich eine gefährliche Staatsaffäre konstruieren.
Schließlich wird doch auch jener Herr mit seiner Familie, dessen Wagen ich abends immer noch im Hofe des Bauernhauses stehen sah, weiterfahren können (Hoffentlich hatte er keinen zu slawisch klingenden Namen.)
-m.
Dieser Zeitungsartikel erschien am 24.7.1947 in der Zeitung "Echo der Heimat" und wurde von unserem Kooperationspartner Dietmar Heck für eine Ausstellung recherchiert, die von Mai - August 2005 auf der oberösterreichischen Seite der Ennsbrücke gezeigt wurde.
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