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Beitrag 25 von 192

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PERSÖNLICHE ERINNERUNG:
  • AutorIn: Karl Staudinger
  • Geburtsdatum: 11.6.1924
  • Wohnort: Schwanenstadt, Oberösterreich
  • Land: Österreich

Schreibende Hand mit Schriftzug DIE DIGITALE BIBLIOTHEK

Karl Staudinger

Von der Bitterkeit des Gefangenseins / ca. 1945

Bild zur persönlichen Erinnerung
Eine Karte, die mir Freude machte

Ein Kamerad, eigentlich sind wir Freunde geworden, schrieb beim Anblick einer Blume: "Wie erwacht im Anhauch Deiner Schönheit meines eingeengten Lebens Bitterkeit und Weh".

Das eingeengt sein, das unfrei sein - war Bitterkeit. Ich will ja nicht alles, was bitter war, aufzählen. Aber diese Bitterkeit doch, daß wir keine Nachricht von daheim hatten und daß unsere Angehörigen nicht wissen konnten, daß wir lebten und an die Heimat dachten. Nach unserer Gefangennahme 1945 an der Elbinger Weichsel im heutigen Polen kamen wir nach Morschansk, 400 Kilometer südöstlich von Moskau. Im Lager kamen wir vorerst in eine Quarantäneabteilung. Über den Zaun konnten wir mit den Altgefangenen sprechen. So kam einmal einer zum Zaun und erkundigte sich nach Oberösterreichern. Als ich mich meldete, erzählte er mir, daß er aus Schardenberg und daß er katholischer Priester sei. Damals wurde schon von einem ersten Transport in die Heimat geredet und so hat sich dieser Priester, Kaplan Wimmer, angeboten, meinen Angehörigen Nachricht von mir zu überbringen. Ich gab ihm die Adresse meiner Mutter und er notierte sich alles genau. Am 11. August 1945 haben diese Glücklichen das Lager verlassen.

Nach meiner Heimkehr fand ich einen Brief von Josef Holböck, datiert mit 8. Oktober 1945. Josef Holböck war damals Kaplan in Schärding und hatte bei einer Wallfahrt nach Schardenberg meinen Morschansker-Boten, den Kaplan Wimmer getroffen.

In diesem Brief hörten meine Angehörigen, daß ich lebte und gesund war. Herr Holböck schrieb noch dazu, daß er hoffe, mit diesem Brief einen Freudentag bereitet zu haben. Natürlich war die Freude in meiner Familie groß, war es doch das erste Lebenszeichen von mir, nach so langer Zeit. Sie hatten gut 4 Monate nicht gewußt, ob ich überhaupt noch lebe oder wie es mir ergangen war.

Die erste Post im Lager erhielt ich nach gut eineinhalb Jahren, am 10. Oktober 1946. Erst 14 Tage zuvor hatte ich über meinen Schulfreund Walter Schwarz, mit dem ich zwei Jahre im selben Lager war, die Nachricht erhalten, daß Schwanenstadt, meine Heimatstadt, nicht zerstört worden war, was meine Sorgen um meine Familie zwar nicht beenden aber doch lindern konnte. Die Karte an mich schrieb mein Bruder Rudl mit Schreibmaschine. So konnte er viel mehr unterbringen. Er bestätigte den Erhalt meiner Karte vom 4. Mai 1946 und schrieb, daß mein Bruder Franzl schon bald nach Kriegsende heimgekommen war. Meine Mutter schrieb noch in Handschrift dazu: "Kannst Du Dir meine Freude vorstellen? Auf baldiges Wiedersehen freut sich innigst Deine für Dich betende Mutter."

Mit einer ungewissen "Regelmäßigkeit" kamen dann die erlaubten Karten. Eine ganz besondere Karte erhielt ich Mitte Dezember 1946. Mein Bruder schrieb ein schönes Gedicht auf eine Karte, ein Gedicht über die Sterne. Ich glaube, er hat dieses Gedicht selbst verfasst.

Die wunderklaren Sterne leuchtend zur Nacht
Sie sind auch in der Ferne über Dich gedacht.
Will keiner Dich geleiten, gehst Du allein
Sie werden vor Dir breiten ihren milden Schein.
Und führen Deine Straßen dunkel in das Land:
Was wähnst Du Dich verlassen und aus Gottes Hand?
Der Dir die Sterne spannte wie ein Gezelt
und Dich beim Namen nannte führt Dich durch die Welt.

Wie oft schauten wir während unserer Gefangenschaft im russischen Morschansk zum Sternenhimmel? Mein Freund Franz Vogt kannte die Sternbilder und die dazu passenden Geschichten aus der griechischen Mythologie. Mein Bruder Rudl und seine Trude wollten heiraten und mit der Hochzeit auf mich warten? Sie heirateten am 5. August 1947, ich bin aber erst am Heiligen Abend, fast 5 Monate später, heimgekommen.

Was es damals wert war, Post zu erhalten, hat mir ein Spätheimkehrer geschrieben. Er hat im letzten Halbjahr seiner Gefangenschaft zwei Briefe erhalten und die waren von mir. Post aus Österreich hat ihn erreicht, Post aus Deutschland kam nicht an. So mancher Brief wird nicht geschrieben, weil es immer wieder aufgeschoben wird. Es könnte aber sein, daß es der einzige Brief wäre, den der Adressat erhält und ihm Freude und Wärme brächte.

Die Briefe und Karten, die ich während meiner 32 Monate dauernden Kriegsgefangenschaft in Rußland erhielt, waren Zuspruch, Stärkung und Freude in einer Zeit des Sehnens und der Bitternis.

Karl Staudinger für WGMSG, 15.8.2005

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