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PERSÖNLICHE ERINNERUNG:
  • AutorIn: Franziska Staudinger
  • Wohnort: Schwanenstadt, Oberösterreich

Schreibende Hand mit Schriftzug DIE DIGITALE BIBLIOTHEK

Franziska Staudinger

Franz Sumedinger, ein Kind der Sünde / 1930 - 1939

Bild zur persönlichen Erinnerung
Mein Cousin Franz Sumedinger

Mein Cousin Franz Sumedinger wurde 1935 als uneheliches Kind einer Magd in Schützing, in der Nähe von Schwanenstadt im Hausruckviertel, geboren. Einer der ledigen Söhne des Hofes hatte mit einer Magd am Hof ein Verhältnis, die Magd wurde schwanger. Das war eine Schande. Ein lediges Kind war damals eine Schande. Eine Schande auch bei einem in der Umgebung hoch angesehenen Bauern.

So hat diese Schwangerschaft für alle Beteiligten zu großen Problemen geführt. Selbst wenn der Kindsvater die Magd hätte heiraten wollen, wäre dies nicht möglich gewesen. Eine Magd hatte nichts, sie hatte kein Geld und keinen Grund und Boden, den sie in eine mögliche Ehe hätte einbringen können. Gegen Kost und Logis und einen geringen Lohn war eine Magd am Hof tätig und wohnhaft, Mägde waren dabei von den Knechten streng getrennt in eigenen Räumlichkeiten untergebracht. Eine Magd konnte und durfte damals ihr eigenes Kind nicht aufziehen.

Entweder am Nikolaustag oder um Nikoloi kam Franz 1935 zur Welt.

Ich habe mich mit ihm immer gut verstanden, wir hatten ein gutes Verhältnis. Für viele war er aber nur das uneheliche Kind einer Magd und das hat man ihn spüren lassen, damit musste er Tag für Tag zurechtkommen, damit wurde er tagtäglich konfrontiert. Alle haben sich geschämt, alle haben sich abgewendet. Er war nicht zuerst ein Kind wie alle anderen auch, er war zuallererst ein uneheliches Kind. Die Gesellschaft akzeptierte die Schwangerschaft dieser Frau nicht, sie akzeptierte auch das Kind nicht. Das Kind war eine Schande.

Eine Schwester der Magd hat den Franz dann aufgezogen. Die Frauen, die sich auf Bauernhöfen ihr Geld verdienten und Kinder bekamen, mussten sich für das eigene Kind um einen Kost- und Pflegeplatz umschauen. Kinderbeihilfe gab es damals keine. Von ihrem kärglichen Lohn musste sie dafür bezahlen, daß eine andere Frau ihr Kind aufzog.

Bis in die 50er Jahre war es üblich, daß sogenannte "Bauernmenscha", die schwanger wurden, ihre Kinder abgeben mussten, wenn sie weiter auf einem Bauernhof ihr Geld verdienen wollten.

Franz war aber ein guter Schüler und ein verträglicher Bursch, war kurze Zeit auf der Post tätig, hat neben seiner Arbeit die Matura nachgemacht und zu studieren begonnen. In dieser Zeit ist seine Krankheit ausgebrochen, die Schizophrenie, die ihm eine weitere Ausbildung und in der Folge ein geregeltes, bürgerliches Leben verunmöglicht hat.

Er war dann Zeit seines Lebens in Schwanenstadt und Umgebung unterwegs und bei allen bekannt. Jeder kannte den Sumedinger, jeder wusste, daß der Franz etwas anders war. Manchmal dirigierte er den Verkehr oder säuberte die direkt an die Bundesstraße 1 angrenzenden schmalen Wiesen und Wiesenstreifen zwischen Schwanenstadt und Attnang von Müll und Hausrat. Die Polizisten behandelten ihn mit Respekt, nur das Anzünden der kleinen, von ihm entlang der Bundesstraße gesammelten und angehäuften Müllberge haben sie ihm untersagt.

Wir haben ihn zu seinem Geburtstag immer zum Essen eingeladen. Da ist er dann in seinem besten Gewand erschienen, gestriegelt und gebügelt und musste von meinem Mann immer zum Essen angehalten werden, weil er nicht zu reden aufhören konnte, bei diesen Essen sprudelte er immer förmlich über vor Erzähldrang.

Verehrungsbriefe hat er an mich verfasst, immer wieder habe ich von ihm Zeilen der Verehrung erhalten. Auf Ansichtskarten und in Briefen, die er gerne mit eigenen Zeichnungen versah. 1995 noch habe ich eine Ansichtskarte mit folgendem Text erhalten:

Liebe Fanni, darf ich Dir ein Gedicht, das ich vorgestern zusammengereimt habe, schreiben?

Sonne Mond und Sterne habe ich so gerne, vielmehr Dich - weilst Du auch in weiter Ferne.

Unterzeichnet war diese Karte mit:
EIN KIND DER SÜNDE, Franz

Viele seiner Briefe und Mitteilungen hat er so unterschrieben. Daß ihn seine Mutter als uneheliches Kind zur Welt gebracht hat und mit welch unerbittlicher Härte ihn seine Umgebung hat spüren lassen, daß er ein "Bangert", ein uneheliches Kind ist, hat ihn sein Leben lang verfolgt.

1995 ist er dann auch gestorben. Ein Arzt in Schwanenstadt hat ihn auf sein Klagen hin, daß er ein Ziehen in der linken Brust verspüre, auf Montag vertröstet, er solle sich das am Montag im Krankenhaus in Vöcklabruck anschauen lassen. Am Montag war er dann allerdings schon tot.

Das Grab meines Cousins Franz am Schwanenstädter Friedhof ist immer gepflegt, wir wissen nicht, wer sich so liebevoll und aufmerksam um sein Grab kümmert.

Franziska Staudinger für WGMSG, 16.8.2005

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