Einen Job in einer Fabrik zu bekommen war kein Problem. Besonders Metallarbeiter waren Mangelware, die Männer waren ja alle im Krieg. Es gab sogar einen absoluten Kündigungsschutz für den Arbeitnehmer. Ich nahm einen Posten als fitter, als Schlosser, an. Das einzige Problem, das ich dabei hatte, war, daß ich noch nie zuvor eine Feile in der Hand gehabt hatte. Man gab mir ein Werkstück zu bearbeiten und in kürzester Zeit hatte ich es verpatzt. Der Vorarbeiter drückte mir einen Besen in die Hand und ließ mich die Bude aufkehren. Ich kehrte und kehrte und schaute und schaute, was die gelernten Arbeiter machten.
Und als ich genug geschaut hatte, kehrte ich der Fabrik den Rücken und meldete mich in einer anderen Fabrik als fitter. Da verpatzte ich nur noch die schwierigeren Arbeiten. Die einfacheren konnte man mir schon anvertrauen. Und im Laufe der Zeit wurde aus mir tatsächlich ein brauchbarer Schlosser, Dreher, Schweißer, ja sogar ein Feinmechaniker, der mit dem Mikrometer arbeitete.
Ich machte auch kleine Erfindungen zur Erhöhung der Produktion. Das kam aber bei meinen Arbeitskollegen gar nicht gut an. Wenn ich mehr leistete, würde man das von ihnen auch verlangen - für das gleiche Geld. Das stimmte schon, aber was wir produzierten, diente dem Krieg gegen Hitler, war es da nicht wünschenswert, mehr zu erzeugen? Mr. Fisher, mein Boss bei "Victory engineers" schien etwas von mir zu halten, denn er machte mich zum progress chaser.
Wir erzeugten tragbare Generatoren, jeder Arbeiter ein Teilstück davon. Einer war schneller, der andere langsamer. Beim Zusammensetzen fehlten dann vielleicht Teile vom Langsameren. Dann musste, um Stockungen zu vermeiden, eventuell ein Zweiter drangesetzt werden. Der progress chaser hatte die Arbeit zu überwachen und für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen. So konnte ich in alle Abteilungen gehen und missbrauchte meine Stellung geflissentlich, um eine Gewerkschaft zu organisieren. Die war bisher für überflüssig gehalten worden.
Jetzt aber verlangten wir einen Bonus für jeden, der die Produktion erhöhte, wie das in anderen Fabriken bereits praktiziert wurde. Wir setzten es durch und es war nicht nur im Interesse des Kampfes gegen Hitler, die Arbeiter hatten auch mehr Geld in der Tasche, worauf ich, selbst ernannter Sohn der Arbeiterklasse, sehr stolz war. Verärgert war nur der Direktor Mr. Fisher. Er sagte, ich würde ihn ruinieren, ich als Ausländer käme daher und mache solche Sachen. Er wollte mich rausschmeißen, es gelang ihm jedoch nicht, mich loszuwerden.
Der Abend aber gehörte der "Kunst". Nach der Arbeit - alle jungen Österreicher arbeiteten bis zu zehn Stunden täglich - traf man sich zu Theaterproben, die bis in die Nacht hinein gingen. Die Mitglieder unserer Gruppe waren wie ich Amateure. Es gab in London auch "Das Laterndel", eine österreichische Kleinkunstbühne mit professionellen Schauspielern. Bei einem von ihnen hätte ich Unterricht nehmen können, denn immer noch stand für mich fest, dass die Schauspielerei eines Tages mein Beruf sein würde, aber das musste warten bis nach dem Krieg.
Der musste erst einmal gewonnen werden. Und dazu wollten wir beitragen mit unserem zwar laienhaften, aber umso engagierteren Theater. Wir machten zweierlei: Für unsere Mitemigranten spielten wir Raimund, Nestroy etc., um daran zu erinnern, wo wir daheim waren. Für die Engländer spielten wir - natürlich auf englisch - politische Kabarett-Revuen, um ihnen klar zu machen, dass Austria, das sie ständig mit Australien verwechselten, ein eigenes Land sei, mit einer eigenen Tradition, ein Land, das nicht zu Deutschland gehörte und Hitler wieder entrissen werden musste.
© Mandelbaum Verlag 2005.
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