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PERSÖNLICHE ERINNERUNG:
  • AutorIn: Otto Tausig
  • Geburtsdatum: 13.2.1922
  • Wohnort: Döbling, Wien
  • Land: Österreich
  • Erstpublikation:
    Mandelbaum Verlag, März 2005
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Otto Tausig

"Kasperl, Kummerl, Jud". 07 / ca. 1945

Aus dem Kapitel: "Raoul Aslan am Bahnhof"

Die Politiker, Katholiken und Kommunisten, Sozialisten und Christlichsoziale, die das neue Österreich schaffen sollten, kamen aus den Konzentrationslagern. Dort war eine Solidarität entstanden, die das Lagerdenken von einst nicht mehr aufkommen lassen würde. Wir waren ehrlich überzeugt, daß jetzt die Chance gekommen war, eine bessere Welt zu schaffen! Wir haben uns das wohl zu einfach vorgestellt.

Das Wien, in das wir zurückkehrten, war eine Stadt der Bombenruinen. Überall Menschen, die Schutt schaufelten. Manche freiwillig, andere gezwungen, als Sühne für ihre "ostmärkischen" Missetaten. War das nicht mein alter, sadistischer Juden hassender Mathematikprofessor? Ja, er war es! Statt einem Stück Kreide hatte er jetzt eine Schaufel in der Hand und versuchte schwitzend, das Gesicht voll Ziegelstaub, die Trümmer der Vergangenheit wegzuschaffen.

Die ersten Nächte in Wien verbrachten wir auf Matratzen im Jugendheim in der Pfeilgasse. Unser einstiges Wohnhaus in der Favoritenstraße stand noch. Ich ging zu unserer Wohnung, in der jetzt ein Ehepaar - Schneider von Beruf - mit, glaube ich, drei Kindern wohnte. Was sollte ich jetzt machen? Sollte ich sagen: Weg mit euch? - Das ging ja auch nicht, vielleicht waren das gar keine üblen Nazis, sondern Bombenopfer, die man dort hineingesetzt hatte. Ich drehte also auf der Ferse um und ging.

Unsere nächste Station war das Wohnungsamt, dort bekamen wir Punkte. Je mehr Punkte man hatte, desto größer war das Anrecht auf eine Wohnung. Wir bekamen sehr viele Punkte, nur keine Wohnung. Die fanden wir erst, als wir am 1. Mai 1946 anlässlich der Feiern zum "Tag der Arbeit" auf der Ringstraße marschierten und Konrad Fleischer trafen. Das war eine abenteuerliche Type, ich kannte ihn schon von Kindheit an. Er hatte eine große ehemalige Nazi-Wohnung in der Argentinierstraße, in der bot er uns ein Zimmer an.

Meine Mutter telegrafierte damals aus Shanghai. Sie wäre gerne nach Australien gegangen und fragte, ob wir nicht auch nach Australien kommen würden. Da ich aber endlich in Österreich war und Österreich demnächst in ein paradiesisches Land umgestalten würde, hatte ich nicht die Absicht, ins kapitalistische Australien zu gehen.

© Mandelbaum Verlag 2005.

Otto Tausig für WGMSG, 1.2.2006

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