Die Scala war ein großes Haus mit 1.256 Sitzplätzen. Ich erinnere mich an eine Vorstellung, da waren wir auf der Bühne 30 und im Zuschauerraum saßen 15. Ein andermal kam ich ins Theater, Wolfgang Heinz erwartete mich bei der Bühnentür und sagte: Mein Gott, du siehst so schlecht aus, du bist krank! - Ich sagte: Keine Spur! - Doch, doch! Du bist krank, wir müssen die Vorstellung absagen. - Da waren keine 12 Leute im Publikum und man wollte meine angebliche Krankheit als Ausrede nehmen.
Es war manchmal schon recht hart, besonders, wenn wir lustige Stücke spielten. Wir auf der Bühne lachten, daß alles krachte, und im Publikum saß einer auf der Galerie und einer links vorne, einer rechts hinten. Die konnten gar nicht lachen, weil sie so wenige waren, da geht das nicht.
Das Theater war also leer. Wir wollten es voll kriegen, vor allem mit Leuten, die sonst nicht ins Theater kamen. Dazu fanden wir unübliche Werbemethoden. Wir gingen in die Wirtshäuser jener Wiener Bezirke, wo Leute waren - meist Kommunisten -, die sich dem Theater verbunden fühlten, und gaben dort zunächst "bunte Abende", bestehend aus Szenen und Liedern verschiedener Theaterstücke. Zum Beispiel das Auftrittslied des Valentin aus dem "Verschwender", die Bóbschinksi-Dóbschinski-Szene aus Gogols "Revisor", Nestroy-Couplets, lustige, leicht auf eine Wirtshausbühne zu bringende Szenen.
Ein bunter Abend aus literarisch-dramatischen Texten. Wir wollten, daß die Leute sagten: Das war lustig, wir kommen wieder. - Das nächste Mal war es dann aber ein Gorki-Abend oder ein Brecht-Abend, wenn wir gerade Gorki oder Brecht in der Scala spielten. Dann sagten wir: Schaut's, wir haben hier keine Kostüme, wir haben keine Musik, kein Bühnenbild, es ist ja im Theater viel schöner. - Und wir legten Abonnements auf, die folgende Eigenschaft hatten: Ein Abonnement bestand aus zwölf Karten, man bezahlte nur die erste, auch die war ganz billig. Wenn man dann eine Vorstellung besuchte, bezahlte man die zweite Karte und bei der zweiten Vorstellung die dritte. Man hatte also keinen großen Verlust, wenn man aus dem Abonnement aussteigen wollte.
Sukzessive kamen dann Leute. Im Versuch, ein Arbeiterpublikum anzusprechen, gingen wir nicht in die Fabriken, weil die Menschen nach der Arbeit logischerweise aus den Fabriken heraus wollten. Im Wirtshaus um die Ecke funktionierte das besser. Erst einmal servierten die Wirte natürlich mitten in die Szenen hinein und nahmen Bestellungen auf. Wir sagten dann: Nein, bitte, das stört doch! Servieren bitte nur in der Pause. - Da wir den Wirten ja Gäste brachten, servierten sie dann tatsächlich nur in der Pause und wir hatten etwas mehr Respekt vor künstlerischen Darbietungen erzielt, ohne uns groß als Künstler aufzuspielen.
© Mandelbaum Verlag 2005.
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