WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE

Startseite.

Schriftzug WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE


192 persönliche Erinnerungen gefunden

[ Übersicht & Neue Auswahl ]


Beitrag 12 von 192

Zurück | Vor

PERSÖNLICHE ERINNERUNG:
  • AutorIn: Micki Melcer
  • Geburtsjahr: 1961
  • Wohnort: Berlin
  • Land: Deutschland
  • Erstpublikation:
    Jüdisches Museum Hohenems, Februar 2004
Logo des Partners »Jüdisches Museum Hohenems«
MEDIENPARTNER

Schreibende Hand mit Schriftzug DIE DIGITALE BIBLIOTHEK

Micki Melcer

"Aber ich war glücklich" / Sommer 1972

Bild zur persönlichen Erinnerung
Micki Melcer (rechts)

Das Foto zeigt mich als 11-jährigen. Gemeinsam mit meinem Freund Jacky Schenavsky stehe ich auf einem Bahnsteig des Augsburger Hauptbahnhofes, unmittelbar vor der Abreise. Ich weiß nicht, wer das Bild gemacht hat, vermutlich einer unsrer Väter.

Jacky und ich sind sozusagen die Gesamtdelegation der Augsburger Sektion der ZJD (Zionistische Jugend in Deutschland) die in ein Sommerlager ins österreichische Burgenland reist. Es ist mein erstes Machaneh (Ferienlager) und ich bin ohne meinen älteren Bruder unterwegs, der seine Bar-Mitzwa vorbereiten muss und deshalb nicht mitreisen darf.

Dass dieses Machaneh ein Zeltlager war, - übrigens ein vollkommen chaotisches, und das einzige, das ich je mit der ZJD erlebte - kann man an meiner umfangreichen Ausrüstung vielleicht erahnen. Was man nicht sehen kann ist, wie sehr die Reise "ins Österreichische" meine Wahrnehmung und Auffassung von jüdischem Leben verändern wird.

Ich lernte, dass alle jungen Juden Palästinensertücher trugen, die man aber hier Keffiah nennen musste. Ich lernte koscheres Essen als tägliche Qual kennen und mein Taschengeld so gut einzuteilen, dass ich mir bis zum Ende der Reise die köstlichen, dick mit Wurst belegten Schwarzbrote in der benachbarten Gastwirtschaft leisten konnte. Ich gewann Freunde, und entwickelte die Vorliebe, bei den Mädchen im Zelt zu schlafen. In den Gesprächen über Zionismus und Sozialismus erwachten langsam die zarten Triebe eines politischen Bewusstseins, und ich lernte das laute - aber leider nie das richtige Singen.

Zurück kam ich mit 5 Schillingen in der Tasche, und auch den größten Teil meiner Sachen hatte ich irgendwie eingebüßt. Aber ich war glücklich.

Heute weiß ich, dass die ZJD mir eine jüdische Gemeinschaft bot, jenseits der Enge meiner Familie oder der Zwangsgemeinschaft einer reichlich überalterten osteuropäisch-jüdischen Gemeinde in Augsburg. Die ZJD war meine jüdische Heimat.

Bis zu meinem Abitur verbrachte ich meine Schulferien auf Machanot der ZDJ.

Mit meinen Eltern bin ich erst danach wieder verreist.

Es ist das einzige Foto aus dieser Zeit, das Original habe ich verloren, - manche Dinge ändern sich wohl nie, - Jacky hatte aber zum Glück noch eine Kopie.

Micki Melcer, 1961 geboren in München, lebt und arbeitet als Fotograf und Architekt in Berlin, 1999 und 2000 längere Aufenthalte in New York aus denen das Buch und die Ausstellung »Milch & Hering- Jewish Foodshops in New York« entstanden.

Eine von 43 Geschichten aus dem Buch "So einfach war das."
© Jüdisches Museum Hohenems.

Micki Melcer für WGMSG, 16.3.2006

Erzählen SIE uns von früher. Wir veröffentlichen Ihre Geschichte.

Diese Seite an jemanden senden






Zurück | Vor


XHTML | CSS|

WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE.

Ein DER LICHTBLICK Projekt.