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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Wiener Morgenzeitung

14.3.1921

Historisches Logo der Zeitung »Wiener Morgenzeitung«

Exzesse der Wiener Pogromisten.

Würdiger Abschluß des Antisemitenkongresses.

Daß Jerzabek, Riehl und Genossen den ganzen Antisemitenulk nur zu dem Zwecke arrangierten, um bei günstiger Gelegenheit durch ihre Anhänger einen Angriff auf harmlose Straßenpassanten und Kaffeehausbesucher durchzuführen, war uns klar.

Wundern müssen wir uns aber übe die Naivität der Polizei, die den Jerzabek die Erlaubnis gab, die ganze Gesellschaft der Schulbuben, katholischer Gesellen und Burschen mit oder ohne Couleurkappen unter Führung der Orgesch- und Horthy-Agenten Sonntag nachmittags auf der Ringstraße zu versammeln und diese Bande von Taschelziehern auf die Bevölkerung loszulassen.

In dem Augenblick, wo Herr Mayr in London um Kredite bettelt, macht es sich sehr gut, wenn in Wien sein Kollege und Parteigenosse, Prof. Seipel, "zündende" Ansprachen an die Straßenrowdies hält und auf der Ringstraße sich eine Apachenhorde etabliert, die Wildwestsitten in Wien einzuführen versucht.

Uebrigens muß zur Ehre der Wiener Bevölkerung festgestellt werden, daß sich nur der kleine, beschränkte Anhängerkreis der klerikalen und deutschnationalen Blätter dazu verleiten ließ, dem Rufe Jerzabeks zur "Antisemitentagung" zu folgen. Daß sich die christlichsoziale Partei schämt, offiziell an den unreinen Geschäften der Pogromisten teilzunehmen, ist ja bekannt, deshalb überläßt sie es dem Dr. Funder, diese diskreditierende Bewegung privatim zu unterstützen und dann öffentlich zu erklären, daß die Partei solche Vorfälle mißbilligt.

Ueber die gestrigen Skandale wird berichtet:

In den ersten Abendstunden zogen, von der in der Volkshalle des Rathauses abgehaltenen Antisemitenversammlung kommend, einige hundert Demonstranten, zumeist junge Leute, klerikale Studenten, Lehrlinge und Schüler, über den Ring, lärmend und johlend und Schmährufe "gegen die Juden und Schieber" ausstoßend.

Aus dem Zuge, den Sicherheitswache zu Fuß und zu Pferde begleitete, versuchten alsbald viele Teilnehmer gegen die Stadt zu abzuschwenken und dabei den Ringstraßenkaffeehäusern Plünderungsbesuche abzustatten. Die Kaffeehausbesitzer, von diesen Absichten verständigt, ließen sogleich die Beleuchtung in ihren Lokalen abstellen und forderten die Gäste auf, sich in rückwärtige Räume zurückzuziehen oder das Lokal zu verlassen.

Einem Teil der Demonstranten gelang es alsbald, den Polizeikordon zu durchbrechen und in die Innere Stadt einzudringen, wo es zu wüsten Exzessen kam, während jene Gruppe, die es versuchte, in die Leopoldstadt zu gelangen, um dort Plünderungen vorzunehmen, von der in Massen aufgebotenen Polizei, welche die Brücken besetzt hielt, zurückgehalten werden konnte. Auch diese Gruppe machte dann kehrt und wandte sich der Inneren Stadt zu.

Nun spielten sich insbesondere auf dem Ring und auf der Kärntnerstraße die skandalösesten Szenen ab. Passanten wurden attackiert, die Demonstranten drangen in Hotels und Kaffeehäuser und holten nun dort die gutgekleideten Leute heraus, die sie verprügelten. Straßenbahnwagen wurden angehalten und "jüdisch aussehende" Passagiere belästigt. Automobile wurden an der Weiterfahrt verhindert, die Insassen geschlagen.

Ein hoher ausländischer Funktionär und seine Damen wurden aus ihrem Automobil herausgeholt, wüst beschimpft und nur durch das Einschreiten der Wache vor tätlicher Attacke geschützt.

Auch hilflose Frauen wurden geschlagen. Die bekannte ungarische Schauspielerin Sari Fedak, die um viertel 8 Uhr im Auto über den Schwarzenbergplatz fuhr, wurde aus dem Wagen gezerrt und, weil man sie für eine Jüdin hielt, geschlagen. Der Straßenmob riß ihr den kostbaren Pelzmantel vom Leibe.

Viele Opfer der Tätlichkeiten der antisemitischen Demonstranten konnten, bald nachdem die Burschen von ihnen abgelassen hatten, den Verlust von Schmuckgegenständen, Uhren und Brieftaschen feststellen. Eine Anzahl von Spiegelscheiben, insbesondere von Bankhäusern, wurde in Trümmer geschlagen.

Die Polizei schritt wiederholt ein und arretierte im Laufe des Abends fünfundzwanzig Personen.

Historischer Zeitungsartikel: Wiener Morgenzeitung, 14.3.1921

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