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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Die Neue Welt

27.10.1936

Historisches Logo der Zeitung »Die Neue Welt«

Filme im Schatten des Hakenkreuzes

Wien, 26. Oktober.

Es wurde oft genug ausgeführt, daß sich die österreichische Filmproduktion auf Gedeih und Verderb mit dem reichsdeutschen Markt verbunden hat. Auf Gedeih und Verderb scheint allerdings ein wenig übertrieben, insbesondere hinsichtlich des ersten Teiles dieser aus der Weltkriegszeit herrührenden Wortverbindung. Oder einfacher gesagt: von Gedeih hat die österreichische Filmproduktion im Zusammenhang mit dem Dritten Reich nicht viel zu spüren bekommen. Immer wieder hat es Schwierigkeiten, Spannungen, Differenzen gegeben.

Das Hauptargument zugunsten der reichsdeutschen Forderungen bestand in der These, daß eine deutschsprachige Filmproduktion in Oesterreich ohne den reichsdeutschen Konsum unrentabel sei; Oesterreich müsse die Forderungen der Berliner Filmprüfungsstelle (Propagandaministerium Dr. Goebbels) annehmen, die sich auf das Sujet des Films und auf dessen Besetzung beziehen. Die österreichische Filmindustrie konnte nur dann ihre Filme nach Deutschland bringen, wenn sowohl das Filmbuch als auch die Mitwirkenden den Bedingungen Berlins, das ist zuallererst, dem Arierparagraphen, entsprachen.

So geschah es, daß die österreichischen Filmproduzenten, natürlich auch die jüdischen (nichtarischen), sich prostituierten, um mit Berlin ins Geschäft zu kommen.

Wir haben schon seinerzeit, bei Beginn dieses beschämenden Zustandes, dem österreichischen Filmgeschäft in bezug auf den reichsdeutschen Markt keine günstige Prognose gegeben. Der österreichische Film, soweit er unter prinzipieller Ausschaltung von Juden produziert wurde, vermochte nur den Markt des Dritten Reiches zu erobern - und das nicht etwa bloß wegen seiner ästhetischen Anspruchslosigkeit, sondern weil der deutsch-österreichische Filmkontingent-Vertrag die jährliche Ausfuhr von 14 österreichischen Filmen nach Deutschland zuläßt, während Deutschland in das kleine Oesterreich 140 (einhundertvierzig) Filme jährlich hereinpumpen darf.

Allein schon dieses krasse Mißverhältnis läßt den Schluß zu, daß die Lage Oesterreichs gegenüber Deutschland ungünstig ist. Dazu kam und kommt noch der Umstand, daß der unter den Auspizien der hakenkreuzlerischen Filmprüfungsstelle hergestellte Film - ob in Berlin oder Wien ist gleichgültig - von Millionen Kinobesuchern des deutschsprechenden oder deutschverstehenden Publikums im In- und Ausland a priori abgelehnt wird. An dieser Tatsache ändert sich auch dann nichts, wenn ausdrücklich vermerkt wird, daß dieser oder jener Film ein - österreichischer sei.

Ausgenommen von diesem Geschmacks- und Gesinnungsboykott sind bloß jene österreichischen Filme, von denen die Oeffentlichkeit weiß, daß sie ohne Rücksicht auf den deutschen Markt, also ohne Anwendung des Arierparagraphen, hergestellt worden sind.

Nebenbei sei hier bemerkt, daß Hitler-Deutschland, so oft es ums Geschäft ging, auf die strenge Handhabung des Arierparagraphen verzichtete und beispielsweise die Einfuhr der hochwertigen Walther-Reisch-Filme (mit Paula Wessely in den Hauptrollen) zuließ! Ein Beweis, daß nur die Charakterschwäche der österreichischen Filmproduzenten, der arischen wie der nichtarischen, an der Prostituierung des österreichischen Films schuld ist. Die Walther-Reisch-Produktion beispielsweise hat sich im Bewußtsein ihres künstlerischen Wertes und ihrer Durchbruchskraft von Haus aus der Bevormundung durch Herrn Dr. Goebbels entzogen, eben kraft ihres Niveaus auf das Wohlwollen der Berliner Filmstelle verzichtend.

Nach drei Jahre langen Versuchen, mit Hitler-Deutschland auf dem Gebiet des Filmgeschäftes normal zu arbeiten, muß die österreichische Filmindustrie gestehen, daß sie vor den größten Schwierigkeiten steht.

Während die reichsdeutschen Filmproduzenten und Filmverleiher für ihre in Oesterreich placierten 140 Filme ohne jedes Hindernis ihr Geld nach Deutschland bekommen, sind die Beträge, welche der deutsche Markt der österreichischen Filmbranche schuldet, drüben eingefroren.

Die strengen deutschen Devisenvorschriften lassen eine glatte Ueberweisung nicht zu. Deutschland übernimmt jährlich 14 österreichische Filme, hat aber nicht die Schilling, sie zu bezahlen. Das ist das Fazit der zahlreichen Filmverhandlungen, welche österreichische Vertreter (auch jüdischer Abstammung) in Berlin geführt haben. "Faule Fisch' und Schläg' dazu" - dieser im Volksmund beleibte Ausdruck der Resignation kennzeichnet die Stimmung, von der heute die für den reichsdeutschen Markt arbeitende österreichische Filmindustrie "beseelt" ist.

Es ist weder unsere Aufgabe noch unsere Absicht, den Leidtragenden irgendwelche Ratschläge zu erteilen. Sie wissen selbst, wo sie der Schuh drückt, und sind sich selbst dessen bewußt, daß ihre Unterwürfigkeit sich nicht bezahlt gemacht hat. In dieser traurigen Situation bringen wir auch keinen Funken Schadenfreude auf, nicht einmal gegenüber den "nichtarischen" Herren, welche jeden Augenblick nach Berlin gefahren sind, um dort mit den Bevollmächtigten des Dr. Goebbels zu konferieren. Nun ist es Zeit, daß sich auch eine gewisse österreichische Presse daran erinnere, mit welchem Enthusiasmus sie von den Forderungen Hitler-Deutschlands an die hiesige Filmindustrie geschwärmt hat, nämlich von der strengen Handhabung des Arierparagraphen.

Im Herbst werden die Blätter braun. Diese Naturerscheinung war bei gewissen Blättern auch zu anderen Jahreszeiten zu bemerken, sogar bei solchen, die sich katholisch nennen. Jetzt haben sie die Bescherung. Wer sich dem Hakenkreuz nähert, verfängt sich leicht an ihm. Und dann hat eine ganze Gruppe den Schaden zu tragen.

o. r.
Historischer Zeitungsartikel: Die Neue Welt, 27.10.1936

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