WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE

Startseite.

Schriftzug WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE


181 historische Zeitungsartikel gefunden

[ Übersicht & Neue Auswahl ]


Beitrag 7 von 181

Zurück | Vor

HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Die Neue Zeitung

12.5.1926

Historisches Logo der Zeitung »Die Neue Zeitung«

Vor Neuwahlen?

Wien, 11. Mai.

Der Bundeskanzler Dr. Ramek bemüht sich in der ihm eigenen leidenschaftslosen Beharrlichkeit, den Nationalrat wieder zur Arbeit zu bringen. Aber es schaut mit der österreichischen Volksvertretung recht traurig aus, ja an Stelle der bisher noch immer von der Regierung und von der Opposition mühsam aufrechterhaltenen Scheinarbeit des Parlaments wird schon bedenklich die ganz unverhüllte Arbeitsunfähigkeit zugegeben.

Man spricht, daß bis nach der im Juni stattfindenden Reise des Bundeskanzlers nach Genf keine ernstliche Betätigung des Nationalrates zu erwarten sei. Die wenigen Ausschußsitzungen, die jetzt geplant sind, können natürlich eine wirkliche Arbeit des Parlaments nicht ersetzen.

Es wäre gefehlt, diese Tatsachen noch weiterhin bemänteln zu wollen. Die österreichische Republik ist leider nicht in der Lage, auf die Dauer den Zustand weiter zu ertragen, der durch die Stillegung des parlamentarischen Apparates bedingt wird. Immer mehr wird in der österreichischen Bevölkerung die Meinung vorherrschend, daß nur durch eine radikale Reform der ganzen Verwaltung es möglich sein wird, die schwersten Katastrophen noch rechtzeitig zu verhindern.

An einen baldigen Anschluß an Deutschland ist nicht zu denken. Die vollkommene ungeklärte Lage, in der sich namentlich jene Nachbarstaaten befinden, die seinerzeit ein wirtschaftliches Ganzes mit Oesterreich darstellten, läßt auch das Schicksal neuer oder verbesserter Handelsverträge sehr fraglich erscheinen. Trotz aller aufrichtig gemeinten Versicherungen des Finanzministers wird der Steuerdruck immer unerträglicher, da die letzten Reserven aus besseren Tagen schon aufgezehrt sind und sich heute Aktiengesellschaften, Unternehmungen und Einzelpersonen in der gleich schwierigen Lage befinden, den öffentlichen Abgaben keinerlei wesentliche Einnahmen entgegenstellen zu können.

Nicht nur auf dem Gebiete der öffentlichen Verwaltung, sondern auch in der privaten Wirtschaft zeitigt das System des Raubbaues immer ernstere Folgen.

Die englischen Bergarbeiter sind in den Streik getreten, weil sie es nicht glauben wollten, daß die allgemeine Verarmung und Not auch bei ihrer sicherlich nicht üppigen Lebensweise nicht haltmachen werde. Das neue Oesterreich hat auch noch immer nicht die richtigen Konsequenzen gezogen. Trotz aller Genfer Programmerklärungen ist der Wirtschaftsapparat des Bundes, der Länder, der Städte und der Gemeinden in keiner Weise den gebotenen Formen angepaßt.

Es ist vollständig jeder Ruf nach Vereinfachung verstummt und das System der Doppelregierung durch den Bund und durch die Länder zeigt statt eines Abbaues nur eine bedenkliche Verstärkung.

Diese Fragen können nur im Nationalrat endgültig gelöst werden. Sie müssen in Angriff genommen werden, soll nicht das Volk an seiner Vertretung überhaupt verzweifeln. Nichts ist gefährlicher, als wenn sich ein Parlament selbst ausschaltet. Ist die Lebensdauer einer Volksvertretung aus irgendwelchen Gründen erschöpft, dann ist es viel besser, man macht rechtzeitig den einzig möglichen Schnitt, den Appell an das Volk, durch Neuwahlen über das weitere Schicksal des Staates die Entscheidung zu treffen.

Sicherlich sind politische Wahlkämpfe nicht sympathisch, namentlich in Zeiten wirtschaftlicher Not. Aber sie sind vielleicht das kleinere Uebel.

Historischer Zeitungsartikel: Die Neue Zeitung, 12.5.1926

Erzählen SIE uns von früher. Wir veröffentlichen Ihre Geschichte.

Diese Seite an jemanden senden






Zurück | Vor


XHTML | CSS|

WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE.

Ein DER LICHTBLICK Projekt.