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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Neues Wiener Journal

18.5.1936

Historisches Logo der Zeitung »Neues Wiener Journal«

Radfahren wieder modern.

Renaissance eines Sports. - Weekend ohne Motor.

Von Viator.

Wer jetzt an einem schönen Sonntagmorgen seinen Stromlinienwagen gegen den Riederberg zu lenkt, beginnt bereits in der Linzerstraße nervös zu werden. Es heißt Aufpassen! Vor ihm sind Radfahrer. Nicht einer und nicht hie und da ein paar. Nein, es sind ihrer viele, phantastisch viele. Die meisten von ihnen halten sich brav und ordentlich am linken Straßenrand. Man muß es ihnen lassen, sie fahren nach der Vorschrift.

Nur einige, die gewaltigen Ehrgeiz in den Beinen haben, tun dies nicht. Sie müssen den anderen unbedingt vorfahren und geraten dadurch bedenklich in die Straßenmitte. Davon sind die Automobilisten, gleichgültig ob Herrenfahrer oder Chauffeure, nicht besonders entzückt. Bereitet ihnen die ungestüme Jugend, die auf ihren Motorrädern fröhlich knatternd und krachend dahinbraust, nicht schon genug Kummer? Jetzt kommen noch die Radfahrer dazu! Diese übertrieben vielen Radfahrer!

Die Linzerstraße, an und für sich keine sehr behagliche Wegstrecke, gewinnt durch die am Sonntagmorgen aus der Stadt ausschwärmenden Radfahrer bestimmt nicht an Sicherheit. Aber die Dame oder der Herr am Volant trösten sich: "Ach was, in Weidlingau oder spätestens in Purkersdorf haben wir die Radfahrer überholt und dann ist die Straße frei." Sie werden bitter enttäuscht.

Man fährt durch Gablitz durch und die Radfahrer säumen die Straße, man fährt die Ostrampe des Riederberges hinauf, und sie schieben heroisch ihre Räder, man fährt an der Westseite hinunter und sie lassen sich, auf der Böschung sitzend, ihr Frühstück ausgezeichnet schmecken, und man erreicht Sieghartskirchen, aber die Avantgardisten der Radfahrer erreicht man erst ein gehöriges Stück Weg weiter, gegen St. Pölten zu. Sie müssen offenbar bei jenem oft zitierten ersten Hahnenschrei aufgebrochen sein.

Vor dreißig Jahren...

War das Fahrrad von der Landstraße nicht schon so gut wie verschwunden? Wie lange ist es schon her, daß man Touren gefahren ist? Da muß man gehörig weit zurückdenken, gut an die dreißig Jahre. Bis dahin war das Fahrrad sozusagen gesellschaftsfähig und sogar schick. Ganz ausgiebige Reisen wurden auf dem "Radl" unternommen und es war gar nichts so Seltenes, daß sehr wohlerzogene und verwöhnte junge Leute sich mit freudigem Stolz rühmten, eine Radtour nach Venedig oder nach Paris durchgeführt zu haben. Von kleineren Partien, in die Wachau etwa oder ins Salzkammergut, wurde überhaupt nicht viel Aufhebens gemacht. Sie gehörten zu den Selbstverständlichkeiten. Aber mit einemmal begann das Interesse an Radtouren abzunehmen, um schließlich völlig zu versickern.

Das war, als sich auf den Landstraßen die Autos in größeren Mengen zeigten. Das Auto wirbelte viel Staub auf, im übertragenen und im wörtlichen Sinn. Niemand hatte mehr Lust, sich von den vorübersausenden Autos in eine dicke Staub- und Benzinwolke einhüllen zu lassen und außerdem kam man sich in Anbetracht des enormen Schnelligkeitsunterschieds ein bißchen lächerlich vor. Das Fahrrad hatte ausgespielt, die Radfahrervereine verloren ihre Mitglieder und der früher so intensive Betrieb auf den Radrennbahnen hörte auf.

Das Fahrrad wurde nur mehr aus Nützlichkeitsgründen verwendet; es stand der Hauptsache nach eigentlich nur bei der ländlichen Bevölkerung weiter in Dienst, die im Fahrrad ein billiges und bequemes Vehikel besaß, um kürzere Distanzen, die sonst zu Fuß hätten bewältigt werden müssen, rasch zurückzulegen. Als Sport jedoch schien das Radfahren abgetan und endgültig erledigt. Niemand hätte es sich träumen lassen, daß es jemals wieder eine Renaissance erleben würde.

Nun ist das Fahrrad wieder da, trotz Motorrad und trotz Auto. Ja, es macht sogar den Eindruck, als ob es viel zahlreicher vorhanden wäre, als es früher einmal der Fall gewesen ist. Das Radfahren ist in Mode gekommen und scheint täglich mehr Anhänger zu gewinnen. Es sieht so aus, als ob eine neue Generation das Radfahren frisch entdecken würde. Woher dieser plötzliche und in seinen Dimensionen auffällige Umschwung? Es wird behauptet, daß er durch zwei Momente verursacht wurde. Das eine ist natürlich wirtschaftlicher Natur, weil man sich auf dem Fahrrad bedeutend billiger fortbewegen kann, als mit einem Motorfahrzeug oder mit der Bahn, und das andere Moment ist in der neuzeitlichen, staubfreien Straße gelegen. Das Radfahren ist somit wieder zu einem Vergnügen geworden.

"Safety first!"

Aber damit wird ein Problem aufgeworfen, dessen Lösung schon einmal versucht und teilweise gefunden worden ist, das Problem der eigenen Radfahrerwege. Sie wurden angelegt zu einer Zeit, in der die Straße vom Automobil lange nicht so intensiv in Anspruch genommen worden ist wie heute, und sie wurden im Interesse der Radfahrer angelegt. Seither sind sie in Vergessenheit geraten und verfallen. Nun häufen sich die Unfälle, bei denen Radfahrer zu Schaden kommen und sowohl sie, wie die Automobilisten wissen nur zu gut Bescheid über die kritischen Situationen, die sich zwangsläufig ergeben müssen, und die nur durch eine Loslösung der Radfahrbahn von der Autostraße zu vermeiden sind. Es würde sich ohnehin nur um die stark befahrenen Strecken handeln.

Die Renaissance des Fahrrades ist aus vielerlei Gründen zu begrüßen. Aber auch für das Radfahren gilt im eigenen Interesse seiner sportbegeisterten Anhänger das dominierende Straßenprinzip "Safety first!" Zuerst kommt die Sicherheit!

Historischer Zeitungsartikel: Neues Wiener Journal, 18.5.1936

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