WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE

Startseite.

Schriftzug WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE


50 historische Zeitungsartikel gefunden

[ Übersicht & Neue Auswahl ]


Beitrag 28 von 50

Zurück | Vor

HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Neues Wiener Journal

19.1.1936

Historisches Logo der Zeitung »Neues Wiener Journal«

Knigge am Telephon.

Von Karel Capek.

Der alte Knigge, der einstmals unsere Großmütter und Mütter erzog, hatte offenbar noch keine hinreichende Fühlung mit dem Telephon; daher ist das Telephon eine unerzogene und unhöfliche Sache geblieben, die bis zum heutigen Tage keine eigenen Regeln für gutes Benehmen herausgebildet hat. Namentlich das automatische Telephon führt sich eben dadurch, daß es so bequem ist, geradezu grob auf. Ich möchte ungern Lehren erteilen, denn das ist zumeist erfolglos; aber ich möchte dem Telephon an sich einige gute Regeln ans Herz legen, namentlich:

Wir bitten um Geduld.

1. Es rufe uns nicht überflüssig, Heutzutage dröhnt das Telephon gewöhnlich dann, wenn wir gerade in der Badewanne sind, wenn wir uns rasieren oder vor der Suppe sitzen oder, wie man zu sagen pflegt, "momentan" anderweitig beschäftigt sind. Die goldene Regel des Telephons lautet: Nur dann klingeln, wenn es für uns eine freudige Nachricht hat. Die anderen mag es für sich behalten.

2. Wenn es uns einmal ruft, möge es ein wenig Geduld üben. Es passiert einem etwa, daß man gerade auf einer Leiter steht und einen Nagel in die Wand schlägt; da beginnt das Telephon zu dröhnen. Man läßt den Hammer fallen, klettert von der Leiter herunter und rennt zum Apparat; aber noch ehe man den Hörer in der Hand hat, ist das Telephon des Wartens überdrüßig geworden, und unserem atemlosen "Hallo, wer dort?" erwidert nur ironisches Schweigen. Also, so sollte sich das Telephon nicht benehmen; es gibt Lebenssituationen, wo man nicht imstande ist, binnen fünf Sekunden beim Apparat zu sein; und wenn man feststellt, daß allem Galopp zum Trotz sich niemand mehr meldet, da sagt selbst der friedlichste Mensch "Donnerwetter" oder etwas dergleichen, das man nicht sagen soll, und hegt für einige Minuten einen gewaltigen Groll auf die ganze Welt.

3. Das Telephon dient nicht der Kurzweil, sondern der Zeitersparnis; es soll knapp wie ein Telegramm sein. Manchmal müssen wir am Telephon Gespräche anhören, daß uns das Ohr zu dampfen beginnt. Nichts verbittert so sehr das Leben, als wenn man zwanzigmal hintereinander eine Nummer anruft und diese andauernd von irgendeinem uferlosen Gespräch besetzt ist. In solchen Fällen beginnt man in einer Weise zu fluchen, die dem Menschengeschlecht nicht zur Ehre gereicht. Die größte Tugend des Telephons sei Knappheit.

"Hallo, wer dort?"

4. Das Telephon, das ruft, soll sich zuerst melden. Ich habe mein Herz so weit verhärtet, daß ich, wenn mich jemand mit den Worten: "Hallo, wer dort?" empfängt, geistesgegenwärtig entgegne: "Was geht Sie das an?" Früher passierte es mir zuweilen, daß mich das Telephon rief und sprach:

"Hallo, wer dort?"
"Hier Capek!"
"We - wer?"
"Capek!"
"Was für ein Capek?"
"Ich weiß nicht, welchen Sie wünschen. Hier ist der gewöhnliche Capek."
"Wer?"
"Nun, Capek. C wie Tschaikowsky, A wie aspidistra, P wie Polygamie..."
"Hallo, ist dort die Gebäranstalt?"
"Nein. Hier ist nur der Doktor Capek."
"Aus der Gebäranstalt?"
"Nein, aus der Wohnung."
"Donnerwetter, ich rufe die Gebäranstalt", protestiert das Telephon.
"Das dürfte ein Irrtum sein", beschwichtige ich ihn und höre ihn wütend den Hörer einhaken.

Das Telephon soll also nicht bloß zum Wildwerden da sein; es soll zuerst den Namen des Rufers nennen; und wenn schon ein Irrtum passiert, könnte es "Verzeihung" sagen - es kostet die gleiche Mühe und versöhnt ein wenig den überflüssig Gerufenen.

Historischer Zeitungsartikel: Neues Wiener Journal, 19.1.1936

Erzählen SIE uns von früher. Wir veröffentlichen Ihre Geschichte.

Diese Seite an jemanden senden






Zurück | Vor


XHTML | CSS|

WIR GRATULIEREN! MENSCHEN SCHREIBEN GESCHICHTE.

Ein DER LICHTBLICK Projekt.