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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Pester Lloyd

20.6.1910

Historisches Logo der Zeitung »Pester Lloyd«

Technische Donquixoterien oder drollige Erfinder.

Es gibt eine stattliche Reihe von Dingen, welche die Menschheit Jahrhunderte oder Jahrtausende lang für unerreichbar hielt, Probleme, die man für unlösbar, Wege, die man für unauffindbar erklärte, und von denen das Sprichwort kündete, daß ihnen nachzugehen etwa so zwecklos wäre, wie das Bemühen eines Kindes, das die Hand nach dem goldenen Ball ausstreckt und sich den Mond vom Firmament holen will.

Viele von diesen Aufgaben sind seit jenen Zeiten gelöst worden, und als Schulkinder lernen wir in der Geographiestunde die Quellen des Nils kennen, von denen die alten Lateiner behaupteten, daß keines Menschen Fuß je ihre Ufer betreten würde. Hier handelt es sich um die immerhin mögliche Ueberwindung ungeheuerer technischer Schwierigkeiten. Diese Tatsache wird allzu leicht von denen übersehen, die in ihrer grenzenlosen Bewunderung unserer Fortschritte ausnahmslos alles für möglich und erreichbar halten und in wissenschaftlicher Unkenntnis naiv glauben, daß man einst lebende Menschen im Laboratorium erzeugen, die Quadratur des Zirkels ergründen oder das Perpetuum mobile erfinden wird.

Das Perpetuum mobile finden, hieße die Mittel angeben, mit denen man kostenfrei eine bis in die Ewigkeit unerschöpfbare Kraft in den Dienst der Industrie stellen könnte. Der Glückliche, der dies vermöchte, würde nicht nur der reichste Mann der Erde werden, sondern auch die größte Gewalt im ureigensten Sinne des Wortes in seiner Hand vereinen, er würde die Kohle, das Petroleum, alle zur Erzeugung von Wärme, Licht und Bewegung dienenden Materien überflüssig machen und die wirtschaftlichen Verhältnisse unserer Zeit würden durch ihn nicht minder auf den Kopf gestellt werden, wie unsere gesellschaftliche Ordnung.

Kein Wunder, daß solch ein, wenn auch in sich unmögliches Ziel seit Jahrtausenden ungezählte, eingebildete "Erfinder" angezogen und zu den wunderlichsten Versuchen angeregt hat. Aus der Fülle dieser drolligen Käuze seien einige wenige hier erwähnt. Einer der berühmtesten unter ihnen, ein Engländer Orffyräus, konstruierte im Jahre 1772 ein Rad, dem eine perpetuierliche Bewegung eigen sein sollte. Es wurde unter dem Protektorat des englischen Königs gebaut und ein namhafter Gelehrter erhielt den Auftrag, seine Fähigkeiten zu prüfen. Er ging lächelnd an die Arbeit, wurde aber durch die Leistungsfähigkeit des Rades verblüfft.

Denn zwei volle Monate lang bewegte es sich ohne äußeren Anstoß und die Schnelligkeit seiner Eigenbewegung nahm so zu, daß man es zum eigenen Schutze still legen mußte. Selbst Newton, dem unsterblichen Entdecker des Gravitationsgesetztes, wurde ein Bericht darüber gesandt. Das Innere des Rades wurde den Sachverständigen nicht gezeigt; eifersüchtig hütete der Erfinder sein Geheimnis, und nie hat man erfahren, welche Bewandtnis es mit der Erfindung hatte, die ihr Schöpfer selbst vernichtete.

Andere derartige Versuche auf physikalischem oder chemischem Gebiete sind uns genauer bekannt geworden, und manche alte Archive enthalten Beschreibungen von ihnen. Ihre Lektüre wirkt so amüsant, wie eine köstliche Satire auf die Erfindungstheorien aller Zeiten und auf die Eingebildetheit und Beschränktheit des am Fieberwahn erkrankten menschlichen Geistes.

Die Voraussetzungen sind durch die Forschung längst widerlegt, die Schlußfolgerungen längst Lügen gestraft worden, und alle Erwägungen scheinen uns nur phantastische Ausgeburten ungeschulter Köpfe zu sein. Dennoch aber sind die Einwendungen, die die gelehrten Fachleute vergangener Zeiten gegen die einzelnen Erfindungen vorgebracht haben, durch ihren verknöcherten Dogmatismus noch viel komischer, so daß uns die phantasiebegabten Narren unendlich sympathischer erscheinen, als ihre titularreichen würdigen Schulmeister.

Auf den Versuchspfaden zum Unerreichbaren ist dennoch viel wertvolles gefunden worden, und wir müssen den närrischen Perpetuum mobile-Suchern dankbarer sein, als den amtlich abgestempelten Gelehrten, die eines Dogmas wegen am liebsten die Zukunft einer ganzen Wissenschaft geopfert hätten.

Am energischesten war in dieser Beziehung wohl der Bischof von Chester, Willkens, der im XVII. Jahrhundert lebte und der ganzen chemischen Wissenschaft am liebsten für immer die Kehle zugeschnürt hätte, "weil doch künstliche ,Ingredienzien' nie die Dauer haben können, die die natürlichen Stoffe besitzen". Jedes Schulkind weiß heute, daß diese Behauptung nicht stimmt.

Zum Schlusse sei noch ein deutscher Zeitgenosse erwähnt, der eine Broschüre über das Perpetuum mobile mit der Behauptung eröffnet, daß durch die letze Verfügung der preußischen Baupolizei endlich die Schwierigkeit behoben ist, eine kostenfreie, treibende Kraft zu gewinnen. Der gute Mann will nämlich den natürlichen Luftzug, der durch einen 300 Meter hohen Schornstein entsteht, zur Bewegung von Maschinen verwenden. Leider stimmt die Geschichte nicht, sonst hätte sich die nüchterne preußische Polizei der gewiß überraschenden Tatsache gegenübergesehen, an der Erfüllung eines Weltwunders tätigen Anteil genommen zu haben.

Historischer Zeitungsartikel: Pester Lloyd, 20.6.1910

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