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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Neues Wiener Journal

1.5.1936

Historisches Logo der Zeitung »Neues Wiener Journal«

Mode im Jahre 2000.

Kleidungssorgen der Zukunft. - Paul Poiret prophezeit.

Von Heinrich Jordan.

Paris, im April. Paul Poiret ist ein etwas griesgrämiger, alter Herr geworden. Er kann es der Welt nicht verzeihen, daß er einigemal geschäftlichen Schiffbruch erlitten hat. Dabei ist es nur seine Schuld gewesen, wenn er sich den geänderten Zeitverhältnissen nicht anpassen konnte. Er möchte immer aus dem Vollen schöpfen, wie in den Jahren zwischen 1925 und 1930, als seine Verschwendungsorgien Paris und New-York in Atem hielten. Er gehört zu den Leuten, die immer wieder von sich reden machen, wenn nicht anders, um der Oeffentlichkeit bekanntzugeben, daß er nunmehr auf die Einkünfte aus der Arbeitslosenunterstützung angewiesen ist.

Ganz so schlecht ist es in Wirklichkeit um ihn noch immer nicht bestellt. Wenn er sich heute ostentativ als armer Mann präsentiert, so soll das wohl nichts anderes bedeuten, als eine kleine Mahnung an die Freunde seiner besseren Tage. Von diesen privaten Mißlichkeiten abgesehen, ist er noch immer der tonangebende Pariser Modekünstler, auch wenn ihm nicht mehr die Möglichkeit zu eigenem Schaffen gewährt ist. Paris hört auf ihn, die Zeitungen heben das geringste seiner Projekte hervor, er ist ein König, der von der Macht wenigstens die Krone behalten hat. Er trägt sie zusammen mit dem Lumpengewand koketter Armut erstaunlich würdig.

Was unsere Enkel tragen.

Wenn man eines Poiret nicht nehmen konnte, so ist das sein sich auf viele Gebiete erstreckender Ideenreichtum. Ein derzeit in den europäischen Hauptstädten gespielter Film, dessen Handlung ins Jahr 2000 und darüber hinaus greift, veranlaßte mich, Pavel Poiret zu fragen, wie die Mode unserer Enkel und Urenkel beschaffen sein wird. Niemand vermöchte die Frage besser zu beantworten als der um bizarre Einfälle niemals verlegene Poiret. Seine Antwort ist auch mehr als erstaunlich ausgefallen.

"Im Jahre 2000 wird es Leute wie mich überhaupt nicht mehr geben", erklärt er. "Die Mode wird verschwinden. Die Sorge um die Bekleidung wird in die Hände der Techniker und Hygieniker übergehen, wie alle Angelegenheiten unseres Lebens. Wir sehen in Wachsfigurenkabinetten verstaubte, modrige Puppen, die mit altertümlichen, verschnörkelten, verzierten Stoffballen behängt sind. Wir könnten in solchen Gewändern heute weder gehen, noch stehen, noch atmen, noch sitzen, in keine Straßenbahn einsteigen und brauchten Taxis von eigenen Dimensionen zu unserer Weiterbeförderung. Ebenso unhygienisch unförmig, für das praktische Leben unbrauchbar werden unseren Nachfahren die heutigen Kleidungsstücke erscheinen - Staub- und Bazillenträger in denen der Körper weder atmen noch sich bewegen kann..."

"Und was wird an ihre Stelle treten?"

"Die Kleidung in unserem Sinne wird überhaupt verschwinden..."

"Sollten wir etwa wie unsere fernen Vorfahren wieder nackt herumlaufen?"

Transparente Kleider.

"Der Ausdruck "nackt" wird aus dem Sprachschatz verschwinden. Aber wir werden den Körper nicht mehr verhüllen wie heute. Der Sport, dessen Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist, wird ihn emanzipieren.

Die künftige Kleidung wird aufhören zu verhüllen: sie wird ausschließlich schützen. Diesen Zweck werden neue Materialien weitaus besser erfüllen als die heute bekannten. Unsere Kleider werden aus transparenten chemischen Stoffen bestehen, die genau nach den Berechnungen der Wissenschaft komponiert sein werden. Man hat die Nützlichkeit ultravioletter Strahlen erkannt. Also werden die Zukunftskleider lichtdurchlässig sein. Die beschäftigungslos gewordenen Modekünstler werden sich nach anderweitigen Inspirationen umsehen müssen. Die Modedamen werden statt der Kleider die Farbe wechseln, sie werden schimmern, strahlen, irisieren und phosphoreszieren...

Ganz besonders einfach wird das Bekleidungsproblem zu lösen sein, wenn Monsieur und Madame über Weekend aufs Land gehen: sie tauchen in ein Bad, das aus der entsprechenden plastischen Masse besteht, und augenblicklich ist ihr Körper von einer anliegenden, schmiegsamen Hülle umgeben."

Die geringsten Zukunftsaussichten gibt Poiret unseren Hüten: "Sie werden überhaupt vollständig verschwinden, als Ueberbleibsel barbarischer Epochen. Wir schlafen ja heute auch nicht mehr mit Nachtmützen", erklärt er sich immer mehr ereifernd. "Allerhöchstens wird man einen Metallstreif tragen, der das Haar am Kopf festhält. Möglicherweise kommt noch ein Visier über der Stirn, hinzu, denn unsere Augen werden immer empfindlicher. Während die Tuaregs in der Sahara ohne Beschwerde den glühenden Widerschein der Sonne im Wüstensand aushalten, brauchen wir bereits am Strand von Juan-les-Pins eine Schutzbrille..."

Die Schuhe verschwinden.

Poiret ist aber auch um nähere Details der künftigen "Mode" nicht verlegen. "Die derzeit zu beobachtende Tendenz zu immer verbreitenderen Schultern wird vorhalten und sich vielleicht noch verstärken", erzählt er. "Der Sport entwickelt die Brust und Schulterpartie. Gegenwärtig hilft man mit Watte nach ... die Kleidungsstücke werden für idealisierte Formen zurechtgeschnitten. In späteren Jahren werden sie sich den antik schön gewordenen Körperformen eng anpassen können, eine Art Korb wird Brust und Schulter umfassen, an dem eine Pelerine hängt - der einzig denkbare Mantel für die Zukunft.

Gleich den Hüten werden die Schuhe verschwinden. An ihrer Stelle finden sich Sandalen, und da das Gehen immer mehr aus der Mode kommt, werden es Rollschuhe, Rollsandalen sein. Das Bild der klaren, hellen, schönen Zukunftsstadt wird von bunten, harmonischen Farbabstimmungen beherrscht werden. Elegante Damen werden sich natürlich hüten, durch allzu schreiende Farben aufzufallen, genau so wie heute.

Ob Poiret wohl nicht zu sehr seiner Phantasie freien Lauf läßt? Er wehrt mit philosophischer Geste ab: "In der Mode gibt es keine Verrücktheiten..." meint er.

Historischer Zeitungsartikel: Neues Wiener Journal, 1.5.1936

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