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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Wiener Morgenzeitung

14.2.1926

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Edel und geistreich.

Weil Mussolini die Deutschen in Südtirol in abscheulicher Art drangsaliert, hat man zwei italienische Aerzte, welche an einer Wiener Universitätsklinik studieren, davon gejagt. Der Herr Professor, die Herren und Assistenten und die Studienkollegen haben gefunden, daß sie mit diesen beiden Aerzten, die als freundlich, bescheiden und fleißig geschildert werden, nicht länger unter einem Dache weilen können.

Sie treiben die zwei unschuldigen Italiener fort, weil ihre deutsche nationale Würde es erfordert. In Wirklichkeit wahren sie die nationale Würde ebenso schlecht, wie in der seligen Monarchie der "patriotische" Pöbelhaufen, der zu Kriegsbeginn serbische Friseure und italienische Salamihausierer überfiel, verprügelte und beraubte. Dem Pöbelhaufen von anno dazumal können aber noch der Mangel akademischer Bildung, die Verhetzung von oben und die jahrhundertelange Erziehung im Geiste der Reaktion als mildernde Umständer zugebilligt werden.

Für die Wiener Akademiker von der medizinischen Fakultät gilt keine Entschuldigung. Ihre Handlungsweise ist unverhüllt dumm und unedel. Unedel, weil sie sich gegen Unschuldige und Unverantwortliche richtet. Dumm, weil sie den Schuldigen moralisch stärkt und zu neuen Verbrechen an den Deutschen ermutigt.

Herr Mussolini mag sich freudig die Räuberhände reiben. Jetzt braucht er sich den in Italien lebenden wehrlosen Deutschen und Oesterreichern gegenüber schon gar keinen Zwang mehr aufzuerlegen. Die geistreichen und hochherzigen Helden von der Wiener Augenklinik haben ihm die Absolution für alle künftigen Roheiten verschafft. Den Millionen Italienern, welche die Politik des Gewaltmenschen und seiner Genossen innerlich ablehnen, ist es durch den Wiener Vorfall noch schwerer gemacht, gegen das Treiben der Mussolini-Leute Stellung zu nehmen.

Man zwingt sie in eine moralische Solidarität mit Mussolini hinein, statt dahin zu trachten, Mussolini und seinen Anhang von der zivilisierten Welt und auch vom italienischen Volke zu isolieren. Aber mit solchen Gedanken ist es nicht ratsam, den Herren von der Wiener Universität zu kommen. Verstanden wird man gewiß nicht, dafür angegröhlt und angespuckt.

Rühmlich ist auch die Haltung der Wiener Presse. Daß die deutschnationalen und reaktionären Zeitungen den Vorfall preisen, ist natürlich. Daß aber die freiheitlichen Organe, mit Einschluß der sozialdemokratischen, schweigen und nicht die kleinste Mahnung zur Vernunft, nicht das leiseste Wort des Tadels hören lassen, ist bezeichnend. Der Geist dieser Journale und Journalisten ist der Geist von 1914.

Lieber mit den Wölfen heulen, als auch nur für vierundzwanzig Stunden unpopulär sein. Man hat zwar ein Programm von Völkerfrieden und Völkerversöhnung, man macht auch Gebrauch davon, wenn es gilt, um eine Anleihe zu werben oder eine französische Tänzerin, einen englischen Boxer, einen italienischen Tenor anzustrudeln. Aber wenn es ernst wird, da steckt man das Programm vom Völkerfrieden schön in die tiefste Tasche und überläßt dem chauvinistischem Stumpfsinn das entscheidende Wort.

str.

Historischer Zeitungsartikel: Wiener Morgenzeitung, 14.2.1926

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