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HISTORISCHER ZEITUNGSARTIKEL:
Neues Österreich

23.8.1945

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Arbeitspflicht

In Wien müssen Arbeiten verrichtet werden, die um keinen Preis noch länger hinausgeschoben werden können. Der Mist muß weg, elektrischer Strom, Gas, Straßenbahn müssen wieder in Ordnung gebracht werden. Dazu sind Arbeitshände nötig. Da sie sich nicht freiwillig melden, muß an Stelle der Freiwilligkeit die Pflicht, der Zwang treten. Es muß sein, wir stehen vor einer eisernen Notwendigkeit. Wir wissen genau, die Worte "Arbeitspflicht" und "Arbeitszwang" haben von den Nazizeiten her einen recht üblen Beiklang. Aber welcher Unterschied zwischen damals und heute! Unter der Hitlerpeitsche wurden die Menschen zur Arbeit getrieben für den Krieg, für den Mord. Unsere Arbeit aber dient dem Frieden, dem Leben.

Das Wiener Stadtparlament hat beschlossen, in allererster Reihe die gewesenen Nationalsozialisten der Arbeitspflicht zu unterwerfen, ihnen soll endlich Gelegenheit gegeben werden, einen sichtbaren Beitrag zu leisten zur Wiederaufrichtung unserer Heimat. Bisher in den abgelaufenen vier Monaten haben sich die Wiener Nazi in ihrer Gesamtheit keineswegs so benommen, daß man ihnen ein Reifezeugnis für den Eintritt in ein Gemeinwesen demokratischer, also höherer Kultur ausstellen könnte.

Vielleicht haben sich vereinzelte in dieser Richtung ernsthaft bemüht, aber viele, allzu viele haben noch immer nicht den Weg zur Säuberung gefunden, sind noch immer in der echt nazistischen Vorstellung befangen, man könne durch List und Betrug, durch Frechheit und Lüge sich aus jeder Situation herausretten. Jetzt werden sie eines Besseren belehrt. Jetzt werden sie am eigenen Leib verspüren, daß die Brücke zur Demokratie nicht nach Nazimethoden, nicht durch Gaunerei und Schwindel, sondern nur durch Arbeit erreicht werden kann.

Die zweite große Gruppe der Arbeitspflichtigen umfaßt die Jugend, die jungen Menschen von 14 bis 30 Jahren. Auch den Angehörigen dieser Gruppe muß man ganz offen sagen, daß viele von ihnen den Weg in die neue Zeit noch nicht gefunden haben. Über dieses Thema hat erst gestern Unterstaatssekretär Weinberger in unserem Blatte sehr beherzigenswerte Worte gesprochen, denen wir eigentlich wenig hinzuzufügen haben. Die freie Jugend in unserem freien Staat darf die Freiheit nicht als eine Freiheit von der Arbeit, nicht als Freiheit zur Befriedigung zügellosen Lebensgenusses betrachten.

Aber es muß ein ganz gewaltiger Unterschied gemacht werden zwischen der Arbeitspflicht der Nazi und der Arbeitspflicht der Jugend. Die jungen Leute sind in ihrer Mehrheit nicht als Träger des nazistischen Geistes, sondern als seine Opfer zu betrachten. Mit einem Schlage von den Ketten befreit, von Drill und Zwang erlöst, mußte sich die ungebändigte Jugendkraft zwangsläufig nach allen Richtungen austoben, auch in Richtung des Unsozialen. Daher wird die Heranziehung der Jugend zu nutzbringender Arbeit nicht bloß dieser Arbeit nutzen, sondern vor allem der Jugend selbst, deren Triebe und Kräfte auf die richtige Bahn gelenkt werden.

Durch die Arbeit wird aber auch ein politischer Irrwahn zerstört, der heute mehr denn je die Köpfe verdunkelt. Das ist die absurde Vorstellung, daß der Mensch dadurch allein, daß er in einen Staat hineingeboren wurde, das Anrecht erworben habe, von diesem Staat und in diesem Staat lebenslänglich versorgt zu werden. Mehr oder weniger bewußt spielt dieser Fehlgedanke in gewisse Teile der Volksstimmung hinein: was immer einen Staatsbürger bedrückt, immer liegt die Schuld am Staate. Aber in Wahrheit gewinnt man das Recht auf Leben nicht durch die Staatsbürgerschaft, sondern nur durch Arbeit. Ohne Arbeit gibt es vielleicht eine Gegenwart, aber bestimmt keine Zukunft.

Darum wird denjenigen, die jetzt zur Arbeit verpflichtet werden, gleichviel ob Nazi oder Nichtnazi, ob jung oder alt, nicht bloß eine Pflicht und ein Zwang auferlegt, sondern es wird ihnen auch ein wertvolles Rechtsgut verliehen. Denn nur die Arbeitenden haben ein Anrecht auf die österreichische Zukunft.

p.d.

Historischer Zeitungsartikel: Neues Österreich, 23.8.1945

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