21.12.2005
12.12.1910
Bringt eine Lokomotive als eine leblose Maschine den Zug nicht vorwärts, so holt man ohneweiters eine zweite und spannt sie vor; bleibt aber ein lebender Gaul mit seiner schweren Last stecken, so haut man einfach drauf los. Das eiserne Beförderungsmittel muß genügend mit Kohlenspeise versehen werden; einem lebenden Zugtier hingegen mutet man oft die schwersten Leistungen zu, auch ohne es ordentlich gefüttert zu haben.
Die Maschine muß immer unversehrt und blank und geschmiert sein; das Pferd dagegen hat oft nicht die notwendigste Pflege, man schneidet ihm sogar sein Schutzmittel, den Schweif, ab und die Mücken mögen es zerstechen. Der Eisenbahnzug fährt auf glatten Schienen dahin, das Pferd jedoch soll seinen schweren Karren auch durch tiefen Sand und über Stock und Stein fortschleppen.
Der Lokomotivführer muß eine Prüfung abgelegt haben über seine Maschinenkenntnisse; das Pferd hingegen sieht man oft Leuten anvertraut, die überhaupt nichts weiter als zu prügeln verstehen. Der Lokomotivführer muß zur vorgeschriebenen Minute abfahren; der nachlässige Fuhrmann sitzt im Wirtshause und läßt dann hinterher das arme Tier für die verlorene Zeit durch Schnellfahren und Peitschenhiebe büßen.
Wenn eine Lokomotive schadhaft geworden ist, so kommt sie in die Werkstätte; fehlt einer Mähre etwas, so greift man zunächst zur Peitsche als einem Universalmittel. Ist die Lokomotive nicht mehr brauchbar, so wird sie außer Betrieb gestellt; den altersschwachen Vierbeiner aber verschachert man an den Meistbietenden, der ihn aufs neue bis auf den letzten Blutstropfen ausnützt. Wer kann die tiefe Wahrheit dieser Ausführungen bestreiten?
Wenn es auch nicht an Ausnahmen fehlt, so wird doch tatsächlich im allgemeinen den leblosen unfühlenden Maschinen verhältnismäßig viel mehr Verständnis und Sorge entgegengebracht, als den lebenden und fühlenden Arbeitstieren. Ist das menschlich oder ist es schändlich?
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