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7.6.2005

Vöcklabrucker Rundschau

Agnes und Gottfried Eiselmeier, Goldene Hochzeit

Goldene Hochzeit feierten Agnes und Gottfried Eiselmeier.
Gratulationsbild von Agnes und Gottfried Eiselmeier
Foto: © Privat
Gratulationsartikel: Vöcklabrucker Rundschau, 7.6.2005

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2.6.1955

Salzkammergut-Zeitung

Das Ende des "Kammerer Hansl"

Der Verfasser des nachstehenden Feuilletons, Herr Dr. Hans Huebmer, ist ein gebürtiger Vöcklabrucker, den das Leben in den goldenen Westen Österreichs, ins "Ländle" verschlagen hat, der aber im Herzen immer ein enger und treuer Freund der Stätte seiner Kindheit geblieben ist. Herr Dr. Huebmer war von 1923 bis 1933 Redakteur der "Reichspost" und ist seit Kriegsende als Pressereferent im Amt der Vorarlberger Landesregierung tätig und über den Rundfunk auch als politischer Kommentator der Sender Dornbirn und Innsbruck bekannt geworden. Zur nachstehenden Arbeit regte ihn die bevorstehende Elektrifizierung der "Kammerbahn" an. Es sind die Memoiren zu einem unvergeßlichen Faktotum, das durch den Flügelschlag des Fortschritts in der Erinnerung versinkt.

Im heurigen Sommer wird die Bundesbahnstrecke Vöcklabruck - Kammer-Schörfling elektrisch betrieben. Was bedeutet dies für die große Welt? Zehn kurze Kilometer von den sechstausend der österreichischen Bahnen. Sicher werden viele Reisende des In- und Auslandes froh sein, wenn sie auf das Höllengebirge, das so schön aus dem grünen Gahberg herauswächst, blicken können, ohne daß ihnen eine Rußflocke ins Auge fliegt. Auch wird's ein paar Minuten schneller gehen. Das große Reisepublikum wird bei der letzten Kehre den Pfeiler ansehen, auf dem wohl schon im nächsten Jahre die Autobahn den Schienenstrang übersetzen wird. So wird ein Landstrich, auf dem zu Beginn unseres Jahrhunderts die Uhr der Entwicklung noch langsam ging, in das Netz der schnellen Verkehrswege einbezogen.

Noch fehlt der Flugplatz; Geschäftsmänner mögen ausrechnen, wie viel in den nächsten Jahren zu verdienen ist. Ich aber muß in diesen Tagen zurückdenken, zurück auf fast sechs Jahrzehnte .... Die Bahn von Vöcklabruck nach Kammer war das erste große Erlebnis meines eigenen Daseins. Es wird nicht mehr vielen Zeitgenossen bekannt sein, daß die einzige größere Station auf der Strecke, das heute in der Wirtschaft ganz Europas bekannte Lenzing, in den Fahrplänen der Jahrhundertwende noch nicht enthalten ist. Der wichtigste Aufenthalt war vielmehr Pichlwang, eine Haltestelle, die seit dem letzten Kriege nicht mehr besteht - so ändern sich die Zeiten!

Die Wagen mit insgesamt vier Fenstern und die kurzatmigen Lokomotiven, bei denen die Rauchentwicklung die größte Leistung war, sehe ich noch vor mir. Wenn das jüngere Geschlecht für jenes Steinzeitalter des Eisenbahnbetriebes, das noch kein halbes Jahrhundert zurückliegt, Interesse haben sollte, muß es sich schon in das Technische Museum nach Wien bemühen. Nebenbei bemerkt, dort kann man den Salonwagen sehen, in dem Kaiserin Elisabeth ihre ausgedehnten Reisen unternahm - heute würde sich jede Fußballmannschaft beschweren, wenn sie für die Fahrt zum Spiele ein solches Fahrzeug zugewiesen erhielte . . .

Selbstverständlich war die Kammerer Bahn daran, meine Berufswahl zu beeinflussen. Fragte man den kleinen Hansl: "Was willst' denn werden?", so antwortete der also Angesprochene mit Sicherheit: "Kondukteur (das Wort "Schaffner" ist erst seit dem Ersten Weltkrieg üblich) auf der Kammerer Bahn". Nun habe ich es wohl nicht so weit gebracht, und doch sind mir die ausgezeichneten Kenntnisse des Fahrplanes, die ich mir schon als Kindergärtler erwarb, heute von großem Nutzen. Durch eine vor mehr als fünfzig Jahren erworbene Übung bin ich in der Lage, bei den üblichen Fahrplankonferenzen, Kreuzungen, Vorfahrten usw. im Kopfe blitzschnell zu berechnen und dadurch die Eisenbahngewaltigen, welche bei jedem Vorschlag ihr "unmöglich" schnarren, zur Verzweiflung zu bringen. So hat mir doch die intensive Beschäftigung mit den Fahrplangeheimnissen der Kammerer Bahn für mein Fortkommen genützt.

Viel wichtiger scheint mir eine andere Vorbereitung auf meinen heutigen Beruf: Ich lernte nämlich durch die Haltestellen-Tafeln lesen. Die zwei wiederkehrenden Buchstaben von "Vöcklabruck" mußten "k" sein, was in "Pichlwang" und "Kammer" gemeinsam war, war das "a". Wenn ich nicht irre, hat der große Champollion nach dieser Methode die ägyptischen Hieroglyphen entziffert, aber ich kann beeiden, daß ich damals weder etwas von Champollion noch von den Hieroglyphen wußte.

Erst vor einigen Tagen war ich sehr stolz, auf einer Pädagogen-Konferenz zu erfahren, daß man gegenwärtig den Versuch macht, den Kindern nicht das Zusammensetzen von Buchstaben, sondern die Auflösung ganzer Wortbilder zu lehren. Man nennt das Ganzheits-Methode - nun, die Kämmerer Bahn hat bei mir dasselbe Ergebnis bewirkt, ohne daß ich von einer Ganzheits-Methode etwas ahnte. Kaum hatte ich aber an den Haltestellen das Lesen gelernt, begann ich die Fahrpläne zu buchstabieren und da hat der kleine Bub das Fernweh empfangen, das ihn bis heute nicht verlassen hat. Vielleicht war es ein kleiner Hinweis auf die Zukunft, daß er eifrig die längste Seite der damaligen Fahrpläne studierte und auf die Strecke nach Bregenz und Lindau geriet.

Doch nun zurück von Vorarlberg zur Kammerer Bahn. Nach meiner Erinnerung war es 1903, als die aufstrebende Papierfabrik Lenzing eine Haltestelle mit Geleiseanschluß erhielt und nun wurden jeweils in Lenzing viele Lastwagen abgeschoben oder zugehängt. Sommergäste, die in der Umgebung zahlreicher Koffer saßen und um die Anschlüsse bangten, schalten über das zeitraubende Verschieben, für uns Kinder hätte es ruhig eine halbe Stunde und noch länger währen können.

Lenzing brachte in die Eintönigkeit der eingeleisigen Strecke so etwas wie Probleme. Mit den Ereignissen des Jahres 1938 wurde Lenzing zum wirtschaftlichen Weltplatz, es erhielt einen kleinen Bahnhof und schließlich mußte die ganze Strecke umgebaut werden. Wenn heute ganze Güterzüge mit Holz nach Lenzing und mit der kostbaren Zellwolle heraus rollen, dann denke ich immer noch an die Rollen von Rotationspapier, die seinerzeit mühsam eingeladen wurden und frage bange, wie viele solcher Rollen in den letzten Jahrzehnten mit meinen Artikeln verdruckt wurden.

Eine merkwürdige Fügung brachte es, daß zwei weltbewegende Tage mein auf so viele Schauplätze verteiltes Leben an den Kammerer Bahnhof geknüpft haben. Da war der Julitag 1914, an dem am Bahnhof zu Kammer die Mobilmachungs-Plakate angeschlagen waren. Der sonst so stille Raum war gefüllt mit Männern, die zum Kriege zogen, mit ihren Frauen und Kindern. Flammende Reden wurden gehalten, begeisterte Lieder gesungen, als ginge es zum Herbstmanöver oder zu einem kurzen, lustigen Krieg. Von jenen ersten, die damals hinausgingen, sind nur ganz wenige zurückgekommen. Damals haben die Menschen nicht gewußt, was ein Krieg ist; eine heitere Welt ging singend in den Abgrund.

25 Jahre und einen Monat später wiederholte sich dasselbe Bild am selben Ort. Aber diesmal gab's keinen Ruf, keine Rede, kein Lied. 1939 wußten die Menschen, was ihnen bevorstand, und konntens bloß nicht hindern. Aber 1914, da haben wir gejubelt, wie wenn beim Schützenfest einer ins Schwarze trifft. Könnten die Steine des Bahnhofes reden, sie berichteten von vielen, die hinausgingen und nicht mehr zurückgekehrt sind.

Und nun gibt's wieder einen Abschied, diesmal von der russenden Dampfmaschine. Dem technischen Fortschritt soll gerne ein Opfer gebracht werden, aber für uns alt gewordene Kinder von der Kammerer Bahn ist's wirklich ein Opfer. Scheinbar auch für jüngere Mitbürger. Als ich vom Beschluß der Eisenbahnverwaltung, die Strecke zu elektrifizieren, erfahren hatte, und in meinem Vöcklabrucker Hause (Herr Dr. Huebmer ist der Besitzer des Hauses Salzburgerstr. 8, in dem die Krankenkasse untergebracht ist. Anm. der Redaktion) davon sprach, da hat eines der "Kinder" dieses Hauses, heute selber schon Mutter zweier blühender Kleiner, fast geweint.

"Den Kammerer Hansl woll'n s' uns nehmen, kannst das net verhindern?" Mögen sich Psychologen die Köpfe zerbrechen, was Menschen an eine qualmende Lokomotive bindet, deren Ersatz durch einen elektrischen Triebwagen allerhöchste Zeit ist, Jugenderinnerungen sind mehr als sämtliche Vernunftgründe. So möge denn eine hohe Elektrifizierungsdirektion wissen, daß sie den alten Vöcklabruckern und Atterseern nicht nur etwas gibt, sondern auch etwas nimmt.

Dr. Hans Huebmer.
Historischer Zeitungsartikel: Salzkammergut-Zeitung, 2.6.1955

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