23.11.2005
22.11.1925
Die ersten Tanzkleider tauchen nun als Vorboten einer sich erst später voll entfaltenden Pracht auf, anmutig, bescheiden und überaus jugendlich. Sie reichen alle nur knapp bis unter das Knie, sind ärmellos und meist nur mit einem verhältnismäßig kleinen Ausschnitt versehen, der rund, spitzig oder viereckig sein kann. Der Ausschnitt im Rücken und an den Achselpartien bleibt der späteren, großen Balltoilette vorbehalten und dürfte aus praktischen Gründen nicht übermäßige Verbreitung finden.
Als beliebtestes Material kommen hauptsächlich Crêpe de Chine, Crêpe Georgette und Crêpe Satin in Betracht, dekorativer wirkt jedoch der sehr moderne Velourchiffon oder Panne, welche in ihrer wunderbaren Schmiegsamkeit und ihrem leuchtenden Seidenglanz kaum eines Aufputzes bedürfen. Die Mode liebt nicht nur die geschmeidigen, fließenden Stoffe, sondern hat sich auch die Verwendung von steifem Material zunutze gemacht. Die immer beliebten Stilkleider, für welche sich starre Seide am besten zu eignen scheint, sind in ziemlich veränderter Form wieder auf dem Plan erschienen.
Das glatte Leibchen mit einer anmutigen, prinzeßartigen Schweifung reicht bis zur Hüfte und das kleine angesetzte Röckchen unterscheidet sich nur durch größere Weite vom üblichen Abendkleid. Weiche Stoffe oder Spitzen stützt man öfters mit steifen Unterlagen, wozu man ein zartes, ehemals nur von Modistinnen gebrauchtes Material verwendet. Stilkleid und glockige Silhouette werden einträchtig nebeneinander herrschen, wobei die letztere wegen ihres geringeren Stoffverbrauches den größeren Teil der Damenwelt für sich haben wird.
Zum Aufputz des neuen Tanzkleides sind Metallspitzen sehr beliebt und haben über die Farbe in Farbe getönte Seidenspitze der vorigen Saison den Sieg davongetragen. Gold- und Silber-, bunte Metallfaden- oder glitzernde Perlstickerei schmücken in sehr geschmackvollen Zusammenstellungen hauptsächlich die unteren Kleidpartien, während der obere Teil ziemlich sparsam verziert wird. Eine besondere Neuheit der heurigen Saison ist die schon ziemlich viel verwendete Reliefmalerei in prächtigen Metallfarben und ein an Perlstickerei gemahnende Maltechnik, die bedeutend zarter und duftiger wirkt, als alle bisher bekannten Stickereien.
Das Bild der ersten Tanzabende wird jedenfalls ein überaus buntes und farbenfrohes sein, da man vom früher so beliebten, reinen Weiß ganz abgekommen ist. Wie große Blumen oder farbige Schmetterlinge werden sich die Wienerinnen im Tanze wiegen, nachdem sie alle Männlichkeit der Kleidung wieder einmal bis zur nächsten Skipartie vergessen zu haben scheinen.
M. S.
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