Die trostlosen Zustände im heutigen Lehrlingsschulwesen kennzeichnet folgende Mitteilung aus gewerblichen Kreisen:
Ein Gewerbetreibender wurde von der Fachschulleitung angezeigt, daß sein Lehrling die Schule nicht besucht. Vom Fortbildungsschulrat in Wien aufgefordert, sich zu rechtfertigen, schrieb er folgende Antwort, die gewiß vielen Gewerbetreibenden aus dem Herzen gesprochen ist:
"Die Lehrlinge bekommen den strengsten Auftrag, die Schule pünktlich zu besuchen und wird ihnen auch die dafür notwendige freie Zeit gegeben. Die Lehrlinge besuchen aber die Schule trotzdem nicht, wenn sie keine Lust dazu haben, weil sie sehr bald darüber aufgeklärt werden, daß uns keinerlei Strafrecht zusteht, wenn es ihnen nicht genehm ist, in die Schule zu gehen.
Wir haben deshalb auch der Direktion der Fachschule den Rat gegeben, die Lehrlinge zu bestrafen, die aber hat auch kein Recht dazu und die Herren Lehrjungen lachen uns nur aus. Zu unserer Zeit war das allerdings ein bißchen anders. Wir wurden mit der nötigen Strenge, wie sie eben bei jungen Menschen oft angewendet werden muß, behandelt und haben auch etwas gelernt, wofür wir unseren Lehrherrn noch heute dankbar sind. Wir bitten, uns einen Rat zugeben, wie wir die Lehrlinge zwingen können, die Schule zu besuchen."
Wir wären nun auf die Antwort des Fortbildungsschulrates neugierig, der wahrscheinlich mit der Androhung der Lehrzeitverlängerung rasch zur Hand sein wird. Wie es damit bestellt ist, sei an zwei Beispielen gezeigt:
Ein Schulausschuß beschloß einstimmig, auch die Gehilfenvertreter inbegriffen, einem Lehrling sei wegen seines renitenten, rohen und ordnungswidrigen Betragens die Lehrzeit zu verlängern und in der diesbezüglichen Eingabe kam folgender beherzigenswerter Ausspruch vor: "Es geht nicht an, daß in einer Zeit, da hunderte brave, tüchtige Gehilfen, die auch noch Familie zu erhalten haben, arbeitslos sind, Lehrlinge freigesprochen werden, die nicht die notwendige moralische Eignung besitzen und der Gehilfenschaft zur Unehre gereichen."
Der Antrag wurde von der Behörde abgelehnt, der Lehrling mußte freigesprochen werden. Ein Grund für die Ablehnung war auch, daß eine Verlängerung der Lehrzeit nur wegen schlechten Schulbesuchs erfolgen könne!
Nun aber der zweite Fall: Einem Lehrling, der fast eineinhalb Schuljahre die Schule geschwänzt hatte, wurde die Lehrzeit verlängert. Wie er nun seine drei Jahre Lehrzeit hatte, reichte er um Nachsicht ein. Die Schuldirektion, um dessen Schulbesuch befragt, mußte angeben, daß er im letzten Jahr fleißig in die Schule gegangen ist. Seinem Ansuchen wurde Folge gegeben und so hatte der Lehrling tatsächlich statt drei Schuljahre nur - anderthalb, die Hälfte, kam deshalb als ständig ungeprüft über den ersten Jahrgang nicht hinaus, aber - frei wurde er doch, weil er sich im letzten Augenblick so gebessert hat.
Und all diese Tatsachen sollen nicht Schule machen?
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